Isolde Schmid-Reiter (Hg.)
Zwischen Revolution und Bürgerlichkeit
Beaumarchais' Figaro-Trilogie
Der Autor: Uhrmacher, Journalist, Handelsmann, Spion, Gefängnisinsasse, Pamphletist, Finanzjongleur – und Dramatiker; seine Hauptfigur Figaro: vergleichbar kunterbunt – und Opernsänger. All dem versuchte 2013 ein Beaumarchais-Symposium der Wiener Musiktheaterakademie beizukommen. Denn Der Barbier von Sevilla, Der tolle Tag und La Mère coupable haben über die Schauspiel- auch die Opernbühne erobert und sind über heutige Zeitungsnamen hinaus auch mit Melodien in die Allgemeinbildung eingegangen. Der Band beginnt klassisch, mit einem Beitrag von Jean-Pierre de Beaumarchais, einem Nachkommen, der die wohl gefährlichste Waffe seines Ahnen benennt: „Wit alone a change may bring“ – Spott und Lächerlichkeit sind das, was Mächtige am meisten fürchten. Über beides verfügte der Dramenautor und zog so Komponisten an, die das aufklärerische und „systemkritische“ Potenzial schätzten. Hier ist dem Wiener Universitätsprofessor Michele Callela zu widersprechen, der versucht, herausragende sozial- oder politikgeschichtliche Ereignisse als Zugeständnisse an den „linken“ Zeitgeist abzutun. Derlei Attacken und Entlarvungen müssen jedoch als „prä-revolutionär“ anerkannt werden. Die übrigen neun Aufsätze bringen Gewinn: Figaro als hilfreicher Barbier, als Kammerdiener und Intrigenentlarver wird in allen drei Werken durchleuchtet; verschiedene Vertonungen zwischen Paisiello und Milhaud werden analysiert; eine Fülle von Querverweisen öffnet selbst Werkfreunden bislang unbekannte Aspekte und Verzweigungen von Themen und Figuren. Den Horizont erweitert etwa David Cranmers Essay zu Marcos Antonio Portugals portugiesischer Hochzeit des Figaro, die zum venezianischen Karneval 1799 bis 1800 siebenmal aufgeführt wurde. Zu bedauern ist, dass die weiterführenden Vertonungen von Giselher Klebe (Figaro lässt sich scheiden, Hamburg 1963) und Inger Wikström (Den brottsliga modern, Solna 1992) nicht ebenso eingehend untersucht werden. Lediglich Thierry Pécou (L’amour coupable, Rouen 2010) referiert Leitlinien seiner Vertonung. Mit großem Gewinn liest sich Hilde Haiders „Roman der Familie Almaviva“. Beaumarchais träumte selbst von einer Aufführung der Figaro-Almaviva-Werke an drei aufeinanderfolgenden Abenden. Haiders durchgängige Entwicklungslinien beleben diesen Wunsch; ihre Parallelentdeckungen in den südamerikanischen Telenovelas bis zur deutschen TV-Serie Sturm der Liebe frappieren. Einen weiteren Höhepunkt bildet Sieghart Döhrings Essay über John Coriglianos The Ghosts of Versailles, 1991 an der New Yorker Metropolitan Opera uraufgeführt. Döhring beeindruckt durch klare Sprache, verständliche Analyse der komplexen, weil oft filmischen Dramaturgie und Kompositionsweise sowie durch bestechende dramaturgische Einordnung. Der Band lässt mit Personen-, Werk- und Rollenverzeichnis tief in die Figaro-Welt Beaumarchais’ blicken und ist somit ein überragender Werkführer.
Wolf-Dieter Peter