Jörn Peter Hiekel / Johann Casimir Eule
Zwischen Apokalypse und Groteske
György Ligeti: Le Grand Macabre
Die einzige Oper György Ligetis aus dem Jahre 1978, revidiert 1997, erfreut sich an den Opernbühnen wachsender Beliebtheit, wie die jüngste Neuinszenierung an der Bayerischen Staatsoper München beweist. So kommt eine kritische und wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit diesem nicht unumstrittenen Werk, provokant als Anti-anti-Oper bezeichnet, gerade zur rechten Zeit. Ausgangspunkt dieser in jeder Hinsicht farbigen Artikelsammlung war die Produktion an der Semperoper 2019 von Calixto Bieito, im Schlusskapitel als Fotodokumentation enthalten. Die illustre Riege der Autor:innen setzt sich neben dem Herausgeber aus Musikhistorikern, Kunsthistorikern, der derzeitigen Leiterin der Donaueschinger Musiktage und der Kuratorin der Paul-Sacher-Stiftung Basel zusammen.
Jörn Peter Hiekel stellt sich in „Die vitale Überwindung des Konventionellen“ der Frage, ob Le Grand Macabre eine Abkehr von der Ästhetik der Neuen Musik der 50er und 60er Jahre ist, und geht auf Spurensuche, die künstlerische Qualität anhand der „Bezüge zu verschiedenen zentralen kompositorischen Ideen, Techniken, Ausrichtungen und Strategien der beiden Nachkriegsjahrzehnte“ zu reflektieren.
Heidy Zimmermann widmet sich in ihrem überaus spannenden Artikel „Von Kylwaria nach Brueghelland“ den unbekannten Skizzen und teilweise wohl schon weit fortgeschrittenen „Opernvorarbeiten“, die sich von der Anfrage der Intendanz der Stockholmer Oper 1964 bis 1977 über mehr als ein ganzes Jahrzehnt erstreckten. Wolfgang Rathert beschäftigt sich in „Vorsätzliche Unverständlichkeit“ allgemein mit grotesken und absurden Tendenzen im Werk Ligetis. Noch konkreter wird es in Peter Edwards Artikel in englischer Sprache: „Critical Composition, Creativity and Style in Le Grand Macabre.“ Edwards Analysen von „The Car Horn Prelude“, „The love duet“ und „The Collage“ (gemeint ist der große Auftritt Nekrotzars im 3. Bild) fördern interessante Bezüge zur Musikgeschichte von Monteverdi bis Ives zutage.
Jürgen Müller und David Menzel schließlich widmen sich in „Karneval im Brueghelland“ der „Rezeption der Bilder des flämischen Malers bei Michel de Ghelderode und G. Ligeti“; vor allem die Darstellung von Geräuschen und Musikinstrumenten bei Brueghel und Bosch sind hier wichtige Faktoren für den Einfluss auf Text und Musik. Deren Vielschichtigkeit weicht in Ligetis Bearbeitung einem rein illustrativen Charakter.
Fazit: Trotz oder gerade wegen akribischer Herangehensweise ein hochinteressantes, nicht zu umfangreiches Format, das Le Grand Macabre aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet und auch dem Kenner durchaus noch viel Neues zu bieten hat.
Kay Westermann