Silvestrov, Valentin
Zwei Stücke
für Violine und Klavier, Partitur und Stimme
Valentin Silvestrov, geboren 1937 und einer der führenden Vertreter jener Kiewer Avantgarde, die um 1960 in der Sowjetunion an die Öffentlichkeit trat und von den Verfechtern der konservativen Musikästhetik heftig kritisiert wurde, hat bis heute seine kompositorische Eigenständigkeit bewahrt. Um 1970 vollzog er eine stilistische Wende, verzichtete auf die konventionellen Kompositionstechniken der mitteleuropäischen Avantgarde und fand in konsequenter Fortführung dieser Praxis im Zuge seiner ästhetischen Neuorientierung während der vergangenen Jahrzehnte zu einer Personalstilistik, die er selbst als Meta-Musik (metaphorische Musik) charakterisiert.
Dass der Komponist in vielfältiger Weise von seinen Erfahrungen mit der Avantgarde zehrt und sich vor allem einen Blick auf den differenzierten Umgang mit konventionellen Klangfarben bewahrt hat, bezeugen die beiden der Geigerin Hilary Hahn gewidmeten Stücke aus dem Jahr 2010. Wie die etwas breiter angelegten Fünf Stücke von 2004 und die in der Sammlung Melodien der Augenblicke (2004/05) versammelten zyklischen Folgen von Miniaturen sind sie bezeichnend für das, was Silvestrov auch mit Blick auf das historische Vorbild Beethoven als Ausgeburten seiner Bagatellen-Periode benennt: die kompositorische Fixierung auf erhabene Belanglosigkeiten. Ausgehend von simplen, auf wenige Tonhöhen und einfache intervallische Bausteinen reduzierten Ideen nämlich jener eines Walzers im ersten und jener einer con sordino aus der Ferne erklingenden Weihnachtsserenade im zweiten Stück versucht der Komponist in kurzen, überschaubaren Formverläufen den musikalischen Augenblick einzufangen, ohne ihn mit thematischer Arbeit zu belasten. Dies erreicht Silvestrov, indem er primär die melodische Qualität der impulsgebenden Gedanken herausarbeitet und sie unter Anwendung von Agogik, Tempo und Dynamik variabel hält.
Für die Interpreten beider Stücke rückt damit die adäquate Ausgestaltung von Klangfarben und dynamischen Vorgaben auf engstem Raum in den Mittelpunkt: Aus dem einfachen Klavierpart resultieren durch Liegenlassen des Haltepedals ausgedehnte Hallräume, die wiederum als Resonanzraum für die Violinstimme dienen. In harmonischer Hinsicht wird das gesamte musikalische Geschehen denkbar einfach gehandhabt und stellenweise gar, wie zu Beginn und im Schlussteil des Walzers, auf eine stark ausgedünnte Satzstruktur reduziert. Aufgrund solcher kompositorischer Beschränkungen lassen sich über die Aufführungsdauer von rund sechs Minuten hinweg gewisse Redundanzen nicht vermeiden. Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass Silvestrov beiden Stücken einen Dreivierteltakt zugrundelegt und sie durch den Einsatz ähnlicher Bewegungsfiguren im Klavierpart häufig bestehend aus weiträumigen, ruhigen Akkordbrechungen, die sowohl den jeweiligen Tonraum umschreiben als auch die Harmonik abstecken miteinander verknüpft.
Stefan Drees