Leikert, Sebastian (Hg.)
Zur Psychoanalyse ästhetischer Prozesse in Musik, Film und Malerei
Das Interesse von Philosophen, Künstlern und Wissenschaftlern am wahren inneren Afrika, wie der Schriftsteller Jean Paul den unbekannten Kontinent in uns das rätselhafte Unbewusste genannt hat, ist alt und älter als die spezielle Tiefenpsychologie des Sigmund Freud, die Psychoanalyse. Die Autoren der vorliegenden Aufsatzsammlung sind 2013 auf einem Symposion mit psychoanalytischem Rüstzeug nach innen aufgebrochen, um zu erforschen, was die Objekte der Kunst die Musik, die Bilder und die Filme eigentlich alles unter der Oberfläche mitteilen und wie sie vom Hörer und Betrachter unbewusst aufgenommen und zur Deutung herangezogen werden.
In der Einleitung zu der Publikation der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse und Musik stellt der Herausgeber die Frage: Wonach fragen wir, wenn wir nach dem Ästhetischen fragen? Bei der Antwort verweist er auf Freuds Traumdeutung. Darauf beziehen sich viele Psychoanalytiker, die Kunstwerke in ihrem Inhalt deuten. Leikert macht deutlich, dass die Pointe bei Freud aber darin liegt, dass er neben der Bestimmung des Inhalts rekonstruiert hat, auf welche Weise im Traum Bedeutung hergestellt wird. Also: Wie ist es gemacht, was wir als Kunst wahrnehmen?
Was war im Schaffensprozess alles an mentalen, seelischen und lebensgeschichtlichen Kräften auf Seiten des Künstlers beteiligt und was wird psychisch mobilisiert, wenn wir es wahrnehmen und mit Bedeutung ausstatten? Die Frage nach der Ästhetik richtet sich dabei nicht auf die Sprache des Traums, ihre Inhalte und die Zeichenhaftigkeit, sondern über Freud hinaus und in systematischer Absicht auf die Sinnlichkeit und die Intensität der Erfahrung.
In diesem nur interdisziplinär zu erobernden Kontinent leisten die Autoren mit ihren Forschungen Beiträge, über die das Buch in großer Breite informiert. Zum Beispiel über die ästhetische Erfahrung von Rhythmus und Musik in vorgeburtlicher und früher nachgeburtlicher Mutter-Kind-Beziehung. Oder darüber, was das Sich-Einlassen, das Überschreiten einer Schwelle, die innere Öffnung für die Wahrnehmung von Musik heißen kann. Farbe und Linie und der Prozess ihrer Entstehung wird am Fall des Musiker-Malers Paul Klee betrachtet. Besonderheiten und Überschneidungen in der je typischen Wahrnehmung von Bild, Film und Musik legt ein vergleichender Text auseinander. Schließlich widmen sich fünf Berichte konkreten Themen und zeigen, wie die Anwendung des psychoanalytischen Verfahrens aussehen kann. Untersucht wurden beispielsweise Richard Wagners Tristan und Isolde, der Film Eraserhead von David Lynch und die Auftritte und Videoclips der amerikanischen Rockgruppe The Doors.
Das Buch bietet viele Einsichten und Anregungen und das gilt selbst für den, der sich mit dem psychoanalytischen Zugriff auf die Ästhetik ein bisschen schwer tut.
Kirsten Lindenau