Schmuhl, Boje E. Hans / Ute Omonsky (Hg.)

Zur Aufführungspraxis von Musik der Klassik

XXXVI. Wissenschaftliche Arbeitstagung Michaelstein, 23. bis 25. Mai 2008

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Wißner, Augsburg 2011
erschienen in: das Orchester 10/2012 , Seite 57

Das Klassische ist klassischerweise das Vollkommene, Harmonische, die Ausgewogenheit von Ratio und Emotio, Inhalt und Form. So ist dieses Buch nicht. Und das ist – für ein Buch über die Klassik – ein klarer Vorteil, denn hier kommen Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen, aus Forschung und Praxis zu Wort, und so gewinnt der Leser ein relativ vielschichtiges Bild einer Epoche, die bei genauerer Betrachtung selbst so harmonisch und ausgeglichen gar nicht war. Das Buch vereint Referate einer Tagung zum Thema Aufführungspraxis von Musik der Klassik im Mai 2008 in der Stiftung Kloster Michaelstein.
Das beginnt mit einer Begriffsbestimmung des Terminus „Klassik“, der von seiner historischen Herkunft über seinen Bedeutungswandel bis ins 18. Jahrhundert, bis hin zur speziellen Anwendung im Hinblick auf die Mu­sik und seine heutigen Implikationen erklärt wird. Ein weiterer Vortrag geht auf das kulturelle Umfeld der Wiener Klassik ein, das diese musik­ge­schicht­liche Epoche erst ermöglicht hat, beschreibt die politische, gesellschaftliche und auch kulturelle Situation, in welche die Komponisten der Wiener Klassik hineingeboren wurden. Ein Referat zur Entwicklung der virtuosen Sololiteratur für Streicher in Wien in der Zeit der Klassik zählt vor allem Komponisten und Stücke auf, und ein weiteres geht speziell auf die Interpretation von Artikulationszeichen in Mozarts Harmoniemusiken ein.
Die Klassikrezeption in Paris um 1800 beleuchtet ein kunsthistorisch geprägter Text, der mit zahlreichen Abbildungen von Gemälden dieser Epoche illustriert ist und auch auf die diversen damaligen Pariser Spielstätten eingeht, während ein weiterer Aufsatz von der Symphonie in Paris handelt, die anhand des Werks von Henri-Joseph Rigel analysiert wird. Ebenfalls ikonografisch arbeitet ein Artikel über die Orchesteraufstellung in Londoner Theatern um 1800, und ein anderer beschreibt Haydns Aufenthalte in London und deren Niederschlag in seiner Musik, ein weiterer seine Opernbearbeitungen, ihre Musiksprache und Aufführungspraxis, während es in einem anderen Referat vor allem um das Verhältnis von Wort und Musik, um Deklamationsästhetik im Umkreis von Weimar geht.
Ein Vortrag geht auf das Lied der Klassik ein, ein anderer auf musikalische Abbildungen in Stammbüchern dieser Epoche und zum klassischen Verhältnis zum Clavichord. Aber auch zum Thema „klassische Musik im klassischen Weimar“ gibt es hier etwas zu lesen, ebenso zum Verständnis des klassischen Rubato oder zum langsamen Übergang vom Cembalo zum Fortepiano im Leben Muzio Clementis, den Einflüssen regionalen Instrumentenbaus auf die Musik, zur Entwicklung der Klarinette oder Bearbeitungen als frühen Formen der Rezeption, bis hin zum Klassikverständnis der Romantik.
So ist dieser Band sicher nicht als Lehrbuch oder Anleitung zur Interpretation klassischer Musik im eigentlichen Sinn zu gebrauchen, doch wird jeder Interpret klassischer Musik darin die eine oder andere wertvolle Anregung auch zur Bereicherung seiner Sichtweise des klassischen Repertoires entdecken können.
Andrea Braun