Máté Bella/Balázs Horváth/ Dan Dediu

Zukunftsmusik ostwärts

Miklós Lukács (Zymbal), Philharmonisches Orchester Altenburg-Gera, Ltg. Péter Dobszay/Lutz Rademacher

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Rondeau/Klanglogo
erschienen in: das Orchester 04/2020 , Seite 74

Ein kühles Tutti-Crescendo, darauf archaisch und zugleich neuartig anmutende Zymbaltöne: Musikalische Gegenwelten bilden in Sounds of Generation Y Part II von Máté Bella (*1985) zwar starke Kont­raste, aber keine schroffen Zäsuren. Das gilt auch für die anderen auf dieser CD zusammengefassten Auftragskompositionen. Der gebürtige Ungar Franz Liszt, der im 19. Jahrhundert die europäische Musikkultur als Kapellmeister und Operndirektor von Weimar einflussreich mitgestaltete, wurde in den Jahren 2018 und 2019 zum Vorbild für eine verdichtete Kooperation, in deren Rahmen das Philharmonische Orchester Altenburg-Gera in Bukarest gastierte und mit dem Orchester von Geras Partnerstadt Temeswar in Gera Mahlers 3. Symphonie aufführte. Im Projekt „Zukunftsmusik Ostwärts“ gelangten in den Altenburger und Geraer Abonnementskonzerten Werke bedeutender ungarischer und rumänischer Komponisten zur Uraufführung.
Die drei Partituren zeichnen sich nicht nur durch eine zum lustvollen Hören auffordernde Tonsprache aus, sondern auch durch die programmatische Energie, mit der Überlieferungen aus der Vergangenheit und deren transformatives Potenzial in aktuellen musikalischen Schreibweisen zum Einsatz gelangen. Schon die Ergänzung der dem Orchester zugewiesenen spekt-
ralen Harmonien durch das Soloinstrument im Zymbalkonzert von Máté Bella, die Fortsetzung eines früheren Werks, wirkt fremd und doch anheimelnd.
Auch Dan Dediu (*1967) und Balázs Horváth (*1976) reflektieren technisch erweiterte Klangphänomene mit den spieltechnischen Möglichkeiten konventioneller Besetzungen. Aber sie tun dies nicht mit synthetisch-kalten, sondern mit wärmenden Klangfigurationen. In seinem Klarinettenquintett Playlist, dessen fünf Sätze mit musikgeschichtlich relevanten Jahreszahlen zwischen 1645 und 2018 betitelt sind, reiht Horváth von ihm variierte Referenzen an die dem heutigen Raum Thüringen verbundenen Komponisten Schütz, Fasch, Schumann und Reger. Im Finale wirft Horváth dieses Material zusammen und liefert den Musikern Vorgaben, für welche sie Möglichkeiten technischer Veränderungen und Manipulationen mit den eigenen haptischen Fertigkeiten aufgreifen.
Dan Dedius Cellokonzert folgt einem inhaltlichen Plan: Er nimmt Fragmente des kollektiven Gedächtnisses, z. B. Splitter musikalischer Formen, allegorischer Symbole und mythischer Figurentypen, als Anlass für die kompositorische Ausgestaltung. Solisten sollen bei der Wiedergabe ihren eigenen spontanen Empfindungen folgen.
In allen drei Werken geht es nicht um ein konkurrierendes Entweder-Oder zwischen technischer und instrumentaler Wiedergabe, sondern um die Kontinuität der Musikerzeugung an sich. Es scheint, als motiviere der technische Fortschritt die Komponisten zu kreativer Frische und einer Selbstbesinnung, in welcher ästhetische Diskrepanzen zu Dissonanzen und Simplizität überwunden werden. Starkes Resultat eines starken Großprojekts.
Roland Dippel