Daniel Ender

Zuhause bei Helene und Alban Berg

Eine Bilddokumentation

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Böhlau
erschienen in: das Orchester 06/2021 , Seite 61

„Ich lösche mich aus und will nur für Dich da sein.“ Diese schriftliche Erklärung, die auch einen Verzicht auf künstlerische Ambitionen beinhaltete, gab Helene Nahowski am Vorabend ihrer Eheschließung mit Alban Berg an ihren zukünftigen Gatten ab. Sie reiht sich damit ein in die Zahl der Ehefrauen großer Komponisten – siehe Clara Schumann, Cosima Wagner oder Alma Mahler –, die gemäß den Geschlechterrollen der Zeit bereitwillig oder gezwungenermaßen hinter dem Nimbus ihrer Männer zurückstanden, dafür aber eine umso bedeutendere Rolle als einflussreiche Witwen spielten und für den Nachruhm ihrer Gatten sorgten.
Helene Berg, die ihren früh verstorbenen Mann um etwa vierzig Jahre überlebte, hat mit geradezu heiligem Eifer den Nachlass des Komponisten bewahrt und gepflegt, nicht zuletzt durch die Gründung der Alban Berg Stiftung, aus deren Beständen ein großer Teil der von Daniel Ender zusammengestellten Bilddokumentation stammt. Dabei geht es nicht nur um Dokumente von musikhistorischer Relevanz, sondern vielmehr um alltägliche Dinge, die ein Licht werfen auf das bürgerliche Leben eines relativ wohlhabenden Ehepaares zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Zwölf Kapitel mit informativen Einführungstexten und ein Exkurs, der Alban Bergs Militärzeit gewidmet ist, eröffnen einen Blick durchs Schlüsselloch, sind aber weniger eine Bildbiografie als ein Gesellschaftsbild der Zeit. Historische Fotos der Wohnstätten der Familien Berg und Nahowski illustrieren das großbürgerliche Milieu, dem Alban und Helene entstammten. Auch in der späteren gemeinsamen Wohnung herrschte der gründerzeitliche Stil weitgehend vor, in merkwürdigem Kontrast zu Bergs künstlerischer Orientierung. Zur Gesellschaftsschicht des Ehepares gehörte natürlich auch der Landsitz: Die steirische Villa der Familie Nahowski oder der Berghof der Bergs in Kärnten, in denen das Ehepaar Berg – er am Wozzeck arbeitend – die Sommermonate verbrachte, bevor es sich mit dem Waldhaus am Wörther See ein eigenes Anwesen leisten konnte. Hier, wie auch in anderen Kapiteln, ist die Konfrontation historischer Bilder mit aktuellen Fotos sehr reizvoll.
Aufschlussreich sind Dokumente zu den verschiedenen Instrumenten aus Bergs Besitz, darunter eine Okarina für das nicht realisierte Projekt „Und Pippa tanzt!“, zur Bücher- und Schallplattensammlung und zu Devotionalien von Albans künstlerischen Idolen. Aber vor allem die eher nebensächlich scheinenden Dinge wie Rechnungen, Kalender, Skizzen zur Wohnungseinrichtung, Schreibutensilien, Glücksbringer geben einen oft kuriosen Einblick in einen recht prosaischen Lebenszusammenhang, in dem die Leidenschaft für Fußball ebenso Platz hatte wie das Interesse an technischen Entwicklungen wie dem Radioapparat und vor allem dem Automobil, das in Gestalt eines eleganten Ford A seit 1930 die Freizeitaktivitäten der Bergs – beispielsweise fotografisch reichhaltig dokumentierte Ausflüge in die Alpen – dominierte, zumal neben Alban auch Helene die Führerscheinprüfung absolvierte.
Klaus Angermann