Alexandre Tharaud

Zeigen Sie mir Ihre Hände

Aus dem Französischen von Christiane Filius-Jehne

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Staccato
erschienen in: das Orchester 04/2022 , Seite 67

Er zählt zu den gefragten Pianisten unserer Zeit. Noch dazu steht der 53-jährige gebürtige Pariser in der Klassikwelt für ein ganz eigenes Profil. Sein Repertoire reicht vom Barock bis zur zeitgenössischen Musik. Überdies sucht Alexandre Tharaud stets den Austausch mit anderen Künsten. Doch wie sieht sein Berufsalltag aus? Darum geht es in seinem ersten Buch. Darin schildert Tharaud offen und ehrlich den Ablauf eines Konzerttages. Was erlebt und wie lebt ein Weltklassemusiker im täglichen Umgang mit der Welt?
Nun ist die französische Originalausgabe bereits 2017 erschienen, also vor Beginn der Coronapande-mie, die das Konzertleben fraglos verändern wird. Trotzdem bleiben bestimmte Leit(d)-Motive aktuell. Deshalb lohnt sich die Lektüre für angehende Profimusiker und solche, die es bereits sind. Tharaud beschreibt, wie er zu sich selbst findet, mental und körperlich. Die Musikergesundheit spielt eine zentrale Rolle in dem Buch. Man müsse seinen Körper schützen, so Tharaud, was für ihn besonders gilt. Als Pianist habe er im Grunde nicht den perfekten Körper. Der Winkel seines Ellbogens sei ziemlich spitz und die Arme zudem lang. Demzufolge sitze er mit einigem Abstand vom Klavier entfernt und auch der Nacken habe eine Besonderheit.
Schon früh musste sich Tharaud mit Musikergesundheit auseinandersetzen. Sonst aber ist es vor allem die Stille, die man als Viel- und Weitreisender aushalten müsse.
Sein Buch hat er all jenen gewidmet, die „von der Stille leben“. „Dieser Beruf verlangt Entsagung und Opferbereitschaft“, schreibt Tharaud.
„Eine Gefahr besteht darin, sich, verkrochen in seine Fünf-Sterne-Hotels, anderen nicht mehr zu öffnen. In einer Blase zu leben. Der dicke, glänzende schwarze Lack des Flügels wird schnell zum deformierenden Spiegel.“ Er schreibt von Entfremdung, Isolation und dem Fehlen von selbstkritischer Reflexion. Gleichzeitig betont Tharaud die Notwendigkeit der Einsamkeit vor Konzerten. „Ich liege mit dem Gesicht nach oben. Es ist verrückt, wie schweigend einen Hoteldecken anstarren.“ Es sind solche Sätze, die das Buch unerhört lesenswert machen. Es geht um eine gesunde Balance, denn: „Ein durchgedrehter Pianist kommt ungeheuer gut an. Dennoch ist er nichts anderes als ein kaputter Künstler.“
Seine eigenen Erfahrungen würzt Tharaud mit informativen Einblicken in die Arbeit von Agenturen und Instrumentenbauern der unterschiedlichen Klavierfabrikate und in das Konzertleben. Da erfährt man zum Beispiel, dass sich das Klavierrezital in den 1840er Jahren in Paris entwickelt habe, um den Solisten aufzuwerten. Das ist zwar nicht neu, aber Tharaud verknüpft das mit eigenen Fazits und Anekdoten. Der „egozentrische Dussek“ habe als erster Pianist das Klavier so gedreht, dass man seine Nase im Profil habe bewundern können. Tharaud pflegt eben eine gesunde Distanz zu seinem Beruf und zu sich selbst. Das täte manchen Stars und Sternchen gut.
Marco Frei