Fazıl Say
Yürüyen Köşk
Das verschobene Haus, Hommage à Atatürk für Klavierquintett
Fazıl Say gehört längst zu den erfolgreichsten und interessantesten Komponisten der Gegenwart. Gleichzeitig wird er als Ausnahmepianist des 21. Jahrhunderts bezeichnet, gelingt es ihm doch, seine bedeutungsvoll-intensive Tonsprache ebenso in seinem künstlerischen Klavierspiel in einer einzigartig-authentischen Weise aufleuchten zu lassen.
Das programmatisch angelegte Klavierquintett schildert in vier musikalischen Bildern – „Enlightenment“, „Struggle against Darkness“, „Believing in Life“, „Plane Tree“ – eine Begebenheit um den Gründer der türkischen Republik, Kemal Atatürk. Der Staatsgründer zeigt hierin seinen behutsamen Umgang mit der Natur, was sich auch in der musikalischen Ausdrucksweise des Komponisten widerspiegelt. So korrespondiert der programmatische Hintergrund der Geschichte eng mit den verwendeten musikalischen Stilmitteln wie dem Umgang mit leicht variierten Wiederholungen in Rhythmen und Melodien, so als gelte es, etwas zu bewahren.
Auch wenn hierbei Erinnerungen an impressionistisch-rhythmische, bisweilen dissonant-perlende oder auch helle und unruhig-schwirrende Elemente beispielsweise aus Ravels Alborada del gracioso auftauchen, so drängt sich doch nie der Eindruck einer Nachahmung auf. Dies gilt auch für den verfremdeten Einsatz musikalischer Elemente aus der türkischen Volksmusik, bei denen man unwillkürlich an Bartók denkt, vor allem dann, wenn gleichzeitig rhythmisch-prägnante und trommelartige Bass-Ostinati mit darüber liegenden reich verzierten melismenartigen Melodien einsetzen, die frei von jeder metrisch gebundenen Form erscheinen. Oder es tauchen ornamentiert-klagende Melodiefragmente auf, die immer wieder leicht verändert werden und oft mit rhythmisch prägnanten Einschüben wechseln.
Insgesamt ist es eine (Spiel-) Freude, die Vielfalt an rhythmischen, melodischen und harmonischen Einfällen, verbunden mit musikalisch-virtuosen Nuancierungen zu entdecken, die nicht nur nebeneinandergestellt werden, sondern sich geradezu auf natürliche Weise entwickeln. So ergibt sich ein stimmiges, programmatisch-spannendes und musikalisch-aussagekräftiges Gesamtbild.
Zweifellos fällt dem Klavier eine tragende Rolle zu. Dies wird schon aufgrund des Hinweises deutlich, dass der Klavierpart als eigenständige Rhapsodie für Klavier solo aufgeführt werden kann. Doch wenn sich auch in den Klavierstimmen die einzelnen Streicherstimmen oft wiederfinden, dürfte dennoch bei der Soloversion die Klangfarbenvielfalt nur eingeschränkt wahrzunehmen sein, vor allem dann, wenn beide Varianten dem Hörer oder Spieler bekannt sind. Darüber hinaus existieren verschiedene Orchesterfassungen für Klavier und Streichorchester bzw. Holzbläser, Schlagzeug, Klavier und Streicher.
Man kann nur hoffen, dass dieses inspirierende Werk in den unterschiedlichsten Besetzungen den Weg auf die Konzertbühnen finden wird.
Romald Fischer