Mozart, Wolfgang Amadeus

“Wunderkind”-Sonaten I-III für Klavier und Violine KV 6-9/KV 10-15/KV 26-31

hg. von Wolf-Dieter Seiffert, Fingersatz der Klavierstimme von Ariane Haering, mit zusätzlich bezeichneter Violinstimme von Benjamin Schmid

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Henle, München 2012
erschienen in: das Orchester 04/2013 , Seite 66

Leopold Mozart legte größten Wert darauf, bei den Kinderkompositionen Wolfgangs dessen Alter anzugeben, nicht zuletzt, um aus seinen kaum erklärbaren musikalischen Fähigkeiten und Entwicklungsschüben Reputation und bare Münze zu schlagen. In einem Brief vermerkt er, dass sein Bub „alles in diesem seinen 8. jährigen Alter weis, was man von einem Manne von 40. Jahren forderen kann“. Tatsächlich zeigen die drei Sammlungen der „Wunderkind“-Sonaten ein großes Geschick in der Anverwandlung damals erfolgreichen Geschmacks. Die oft lapidar gebrauchte Bezeichnung Violinsonaten benennt die Gattung falsch, es handelt sich um Klaviersonaten mit Begleitung einer Violine. In der zweiten Sammlung ist sogar ursprünglich alternativ eine Flöte angegeben, auf der jedoch die ausnotierte Stimme nicht immer zu realisieren ist (der Ambitus geht bis g, auch treten Doppel- und Tripelgriffe auf); zudem ist ein Cello vorgesehen, weitgehend als Verdopplung der linken Hand des Klavierparts.
Leopold Mozart besorgte noch auf Reisen den Stich der Notenausgaben, die zum Teil mit erhöhtem Aufwand ausgeführt wurden. Der Herausgeber Seiffert konzediert, dass Leopold die Drucklegung redigiert habe, macht aber keine Angaben zu der Frage, inwieweit der Vater auch ins Kompositorische eingegriffen haben könnte. Entstanden sind die drei Sammlungen während der ersten großen Europareise der Mozarts, die dreieinhalb Jahre dauerte, in Paris, London (1764) und Den Haag (1766). Die Sonaten sind zwei-, drei- oder viersätzig, enthalten Menuette, die damals erster Gegenstand der Kompositionslehre waren, auch als Schlusssatz oder Variationssatz (KV 31). Der Formtypus des Sonatenhauptsatzes ist eher durch den tonalen Gegensatz zwischen I. und V. Stufe begründet (alle diese Sonaten stehen in Dur-Tonarten) als durch thematische Gegensätze oder Bezüge.
Darf von einem Kind anderes erwartet werden als nachgeahmte Konvention? Der 1. Satz von KV 6 schnurrt mit permanenten Albertifiguren dahin, die Violinstimme ist parallel geführt, enthält Liege- und Fülltöne, tritt selten in einen Dialog. In KV 9 treten bei Vorschlägen offene Quintparallelen auf (1. Satz, T. 42), auskomponiert sind sie im 1. Menuett dieser Sonate. Hier setzt der Herausgeber wohlwollend Pausen. Dagegen zeigt KV 29 bereits Imitationen und einen flexibel gehandhabten Klaviersatz. Die oft einfach gehaltene Melodik entspricht der Ästhetik des galanten Stils.
Das Notenbild ist, wie von Henle gewohnt, sehr gut lesbar, der Notentext sehr präzise erstellt, ergänzt um einen akribischen Editionsbericht. Ferner enthalten alle Bände ein informatives Vorwort, in dem auch die biografischen Umstände dargestellt sind. Die Violinstimmen liegen zweifach vor, zum einen als reiner Notentext, zum zweiten versehen mit Stricharten, Fingersätzen und Artikulationshinweisen. Auch liegt dem zweiten Band eine Cellostimme bei.
Diese Sonatensammlungen eignen sich für den Unterricht, die Klavierparts reichen bis zu mittlerer Schwierigkeit, die Violinstimme geht selten über die erste Lage hinaus. Zudem ergänzen und vervollständigen sie das Bild eines Komponisten, der mit enormen Talenten ausgestattet diese zu einer intensiven Weiterentwicklung nutzte.
Christian Kuntze-Krakau