Gustav Mahler
Wunderhorn-Lieder/ Symphony No. 10
Michael Volle (Bariton), Münchner Philharmoniker, Ltg. Christian Thielemann
Zu Mahler, so könnte man unken, ist alles gesagt (was natürlich nicht stimmt), nur noch nicht von allen. Wahr ist indes, dass man sich etwas Besonderes einfallen lassen muss, um mit Mahler-Aufnahmen heute Aufmerksamkeit zu erregen. Man kann es zum Beispiel so machen wie Christian Thielemann: einfach so lange nicht Mahler dirigieren, bis alle überrascht sind, wenn man es doch tut. Das ist jedenfalls der Tenor der Reaktionen auf die aktuelle CD Thielemanns im Label seiner Münchner Philharmoniker – und auf einige Mahler-Konzerte in den vergangenen Monaten.
Christian Thielemann ist bekannt als Klangzauberer, als Apologet des Mischklangs, Spezialist für Wagner, für einen eigenen Bruckner-Stil und farbige Brahms-Sinfonien. Wie ist nun sein Mahler? Zunächst: welcher Mahler? Für diese CD ausgesucht hat er Orchesterlieder aus Des Knaben Wunderhorn und das Adagio aus der 10. Sinfonie – wenn man so will, kein Mainstream-Mahler. Das Herzstück der CD ist ganz klar das unvergleichliche Adagio. Doch zunächst zu den Wunderhorn-Liedern, deren Interpret Michael Volle (ein renommierter Bariton) im Booklet leider keine Biografie gewidmet ist – ein gehöriger Fauxpas, bedenkt man, dass er den überwiegenden Teil der Aufnahme bestreitet.
Musikalisch stehen die Interpreten, wie im Grunde bei allen Orchesterliedern, vor einer paradoxen Situation: Sie müssen deren sinfonisches Volumen in Einklang bringen mit dem ganz intimen Inhalt. Genau daran krankt die Einspielung schließlich auch: Die Texte werden sensibel gedeutet, doch ist der insgesamt mulmige Gesamtklang nicht transparent genug für Mahlers feine, teilweise skurrile Instrumentationskunst.
Michael Volle kann sich über das Orchester erheben und erreicht wunderbare zornige Momente („Lied des Verfolgten im Turm“), lässt auch das Urlicht inniglich leuchten. Insgesamt aber muss er zu oft forcieren, singt zu wolkig, zu indirekt. Ähnlich agieren die Münchner Philharmoniker. Das hat man schon besser gehört.
Wie zu erwarten gelingt Thielemann beim 25 Minuten langen Adagio aus der unvollendeten 10. Sinfonie eine konsequentere Lesart – die freilich stark abweicht von der vieler anderer Dirigenten, die um klangliche Askese bemüht sind. Für Thielemann ist diese Zehnte weniger ein Ende der großen romantischen Sinfonik, eine herrliche Zerfallserscheinung, sondern eine Apotheose des Rausches, eine Tristan und Isolde-Sinfonie ohne Worte.
Da bleibt dann leider das Schräge an Mahler, die Abbildung der Welt mit all ihren schönen und hässlichen Seiten, etwas auf der Strecke – manchmal leider auch etwas die Präzision. Doch man erlebt galante Melodik und fast unhörbare Piani, geradezu orgiastische Steigerungen, wie sie vielleicht keine andere Einspielung bietet. Allein dafür lohnt es sich, diese CD zu hören. Geigen schreien in höchster Not (doch wie sauber!), Cluster brechen herein, ein einzelner Trompetenton bleibt stehen und hängt in der Luft wie ein Wanderer über einem Abgrund. Schließlich ein unendlich zarter Schluss in makelloser Reinheit.
Johannes Killyen