Rudolf Moser

Works for String Orchestra

Marc Lachat (Oboe), Chamber Orchestra I TEMPI, Ltg. Gevorg ­Gharabekyan

Rubrik:
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 03/2023 , Seite 67

Heutzutage ist Rudolf Moser nicht mehr so bekannt, aber zu Lebzeiten (1892–1960) war der Schweizer zumindest in seinem Heimatland eine gewisse Größe. Geboren in St. Gallen, ging er 1912 zum Musikstudium ans Leipziger Konservatorium. Sein Lehrer in Theorie dort war Max Reger. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, musste er in die Schweiz zurückkehren. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in Basel als Chor- und Orchesterleiter sowie vor allem als Professor für Theorie und Komposition am Konservatorium. Zu seinen Schülern zählten Yehudi Menuhin und (privat) Paul Sacher. Letzterer profitierte von der Bekanntschaft mit Moser für sein gerade neu gegründetes Basler Kammerorchester (nicht zu verwechseln mit dem heutigen Kammerorchester Basel), das damals noch semiprofessionell arbeitete und mit Sacher zwischen 1926 und 1933 nicht weniger als sechs Kompositionen von Moser aus der Taufe hob. Der Komponist starb bei einem Bergunfall in Graubünden.
Von Hause aus war Rudolf Moser ein begabter Geiger und Bratscher, daher lag ihm das kantable Komponieren für Streichinstrumente am Herzen. Diese neue CD präsentiert viereinhalb seiner Werke für Streichorchester, denn sein 1927 für Sacher entstandenes Opus 38 enthält zwei Kompositionen, nämlich die Kleine Suite (mit Cembalo als eine Art Continuo-Instrument, Nr. 1) und eine einzelne, besonders schöne Intrade (diesmal mit Klavier als Akkordinstrument, Nr. 2 und hier als erster Track). Abschließender Höhepunkt der Silberscheibe ist das aus demselben Jahr stammende Concerto grosso für Streichquartett und Streichorchester mit Cembalo op. 32. Noch reduzierter in Satzbild und Proportionen erscheint die Spielmusik op. 57 Nr. 4, die 1936 dann ohne Bezug zum Basler Kammerorchester (und ohne Cembalo oder Klavier) entstand.
Moser verwendet oft barocke Formen wie die französische Ouvertüre und entsprechende Tanzmodelle wie Bourrée und Gigue, außerdem gekonnt kontrapunktische Satztechniken – doch geht es ihm weder um eine Stilkopie noch um einen „sachlichen“ Neoklassizimus, eher um eine pastorale Melancholie wie bei britischen Kollegen wie Ralph Vaughan Williams. Das zeigt sich besonders in seinem Konzert für Oboe und Streichorchester (eigentlich Streichquartett) op. 86, das 1950 dann mehr Leerlauf enthält als seine vor dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen Werke.
Das junge und international besetzte Kammerorchester I TEMPI aus Basel balanciert unter seinem Künstlerischen Leiter Gevorg Gharabekyan vorzüglich auf dem schmalen Grat, Mosers Musik weder zu schwärmerisch noch zu leicht zu nehmen. Marc Lachat, geboren 1987 im benachbarten Elsass und seit 2013 Solo-Oboist beim Sinfonieorchester Basel, ist ein blitzblanker Solist.

Ingo Hoddick