Bach, Johann Sebastian / Adriana Hölszky

Wolke und Mond

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 6803 2
erschienen in: das Orchester 11/2005 , Seite 97

Lässt sich eine gegensätzlichere Kombination denken als die des traditionsreichen, „seriösen“ Cellos mit einem Instrument, das erst vor wenigen Jahrzehnten vom Odium des stimmungsseligen Schifferklaviers befreit wurde und seither eine bemerkenswerte Neue Musik-Karriere gemacht hat? Und damit der Gegensätze nicht genug: Werke der 1953 geborenen Komponistin Adriana Hölszky werden kontrapunktiert von der Musik Johann Sebastian Bachs – alles nur um des Kontrasts willen?
Hölszkys Wolke und Mond – 1996 komponiert und den Solisten dieser CD, Stefan Hussong und Julius Berger, gewidmet – basiert auf Versen eines chinesischen Zen-Meisters, die, gleichermaßen lapidar wie verrätselt, einen Schlüssel zum Verständnis bergen: „Wolke und Mond, beide das gleiche. Täler und Berge, jedes verschieden. Sind es nun eins oder zwei? Wunderbar! Herrlich!“ Frappierend, wie in diesem Werk über alles scheinbar Trennende hinweg Affinitäten zwischen beiden Instrumenten und darüber hinaus Klanglandschaften entstehen, die den rationalen Vorgang des Komponierens nahezu vergessen machen und statt dessen den Hörer zum spontanen „Begehen“ dieser Landschaften einladen. Und nicht minder frappierend ist es, wie nuancenreich beide Interpreten hier ebenso wie in den Solowerken Miserere (einer Klangstudie über „gequältes Insistieren“) und Nouns to Nouns II (einer Folge von Aphorismen, die auf filigrane Sprachspiele des Dichters E.E. Cummings zurückgehen) diesem Kompositionsprinzip nachspüren. Grandiose Musik, fabelhaft gespielt!
Und Bach? Andreas Ballstaedts intelligenter Booklet-Text verweist auf die Bedeutung von Bearbeitung und Uminstrumentierung in Bachs Schaffen, um etwaigen Angriffen von Puristenseite gegen eine Version der Gambensonaten BWV 1027, 1028 und 1029 für Cello und Akkordeon schon im Vorfeld des Hörens zu begegnen. Allein: Erscheint nicht im Zeitalter unbegrenzter Verfügbarkeiten die Frage der Legitimation zweitrangig gegenüber der Überlegung, welche neuen Aufschlüsse eine Bearbeitung von Bekanntem erbringen kann? Selbst dieser kritischen Nachfrage hält die bemerkenswerte Produktion insofern stand, als beide Instrumente dank ihrer dynamischen Differenzierungsmöglichkeiten paradoxerweise sowohl einen hohen Verschmelzungsgrad als auch ein transparentes Klangbild erzeugen und somit die Parität innerhalb des dreistimmigen Satzes bisweilen fast deutlicher zutage treten lassen, als es das heterogene Paar Viola da Gamba/ Cembalo vermag.
Im Übrigen wird mit so viel Verve und Ideenreichtum musiziert, dass man mit Pluspunkten nicht geizen möchte. Allenfalls die gleich bleibende Spiccato-Artikulation einiger Achtel- und Sechzehntelpassagen in den schnellen Sätzen erinnert ein wenig an sportive Bach-Motorik à la Glenn Gould. Leise Wünsche nach etwas mehr Klangrede konnte zumindest der Rezensent nicht unterdrücken. Gleichwohl: eine unbedingt hörenswerte CD!
Gerhard Anders