Constantin Floros

Wolfgang Amadé Mozart

Ein großes Geschenk an die Menschheit

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden
erschienen in: das Orchester 02/2024 , Seite 65

Die Beschäftigung mit dem Salzburger Komponisten habe sein ganzes Leben durchzogen, bekennt der Musikforscher Constantin Floros zu Beginn des Buchs Wolfgang Amadé Mozart. Ein großes Geschenk an die Menschheit. „Sie begann in meinen Wiener Stu­dien­jahren und endete vor meinem 90. Geburtstag.“
Dem Kernstück in seinem neuen Mozart-Buch, dem Text „Das ,Programm‘ in den Meisterouvertüren“ – ein Wiederabdruck aus den 1979 erschienenen Mozart-Studien I –, liegt die erste Frucht der von ihm entwickelten und so benannten „semantischen Analyse“ zugrunde. Ihr entsprang ein Großteil seiner im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts erbrachten Forschungsleistungen – man denke nur an das dreibändige Mahler-Kompendium (1977/1985), den Sammelband Musik als Botschaft (1989), das Berg-Buch Musik als Autobiographie (1992) und die wesensbestimmende Schrift Der Mensch, die Liebe und die Musik (2000), in sechs Sprachen übersetzt. Erkenntnisse zum „Sinnhorizont“ auch wortloser Musik, aus der affektorientierten Analyse des Notentextes, dem Symbolgehalt von Klangfarben und dem gedanklichen Hintergrund erschlossen, unterliegen eben keiner Verfallsfrist!
Das vorliegende Buch löst die Erwartungen ein, die seine Mozart-Studien I von 1979 weckten. Die darin enthaltenen Texte – der erwähnte zum „Programm“ in den Meisterouvertüren sowie Beiträge zu den letzten Sinfonien, Stilebenen und Stilsynthese in den Opern sowie zu Mozarts Kirchenmusik – werden nun ergänzt und vervollständigt von kürzeren, doch nicht minder gehaltvollen Kapiteln über Mozarts (ineinander verschlungene) Heiterkeit und Melancholie, Tragik und Komik in den Meisteropern, das Phänomen der Kantabilität in Mozarts Musiksprache, Mozart und die Violine, Don Juan in Kierkegaards Deutung, Alban Berg und Mozart sowie das Nachwort „Mozart und wir“. Es mündet in die schlichte Conclusio: „Seine Musik ist human zu nennen – im wahrsten Sinne des Wortes.“
Ebenso bezeichnend wie glaubhaft und berührend ist eine von Mozarts Witwe Constanze überlieferte Szene, die Floros im Kapitel „Heiterkeit und Melancholie“ zitiert: Während sie mit ihrem ersten Kind in Wehen lag, habe ihr Ehemann im gleichen Zimmer gearbeitet und sie bei jeder Wehe getröstet. „Just bei der Entbindung“ seien das Menuett und das Trio des Streichquartetts d-Moll KV 421 entstanden.
Trotz aller Bemühung, Charakter und Seelenleben Mozarts zu ergründen, trotz allen Erkenntnisgewinns, den Sinn und Hintersinn, Scherz, Ironie und tiefere Bedeutung seiner Musik betreffend – unfassbar ist und bleibt, wie ein Mensch, dem nur 35 Erdenjahre beschieden waren, eine überzeitliche schöpferische Lebensleistung derart übermenschlichen Ausmaßes vollbringen konnte.
Lutz Lesle