Bolz, Sebastian / Moritz Kelber / Ina Knoth / Anna Langenbruch (Hg.)

Wissenskulturen der Musikwissenschaft

Generationen – Netzwerk – Denkstrukturen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Transcript, Bielefeld 2016
erschienen in: das Orchester 01/2017 , Seite 59

Mit dem Thema „Musikwissenschaft: Generationen, Netzwerke, Denkstrukturen“ beschäftigte sich im Januar 2015 eine Tagung an der Universität Oldenburg. Der Tagungsbericht liegt jetzt vor und umfasst dreihundert Seiten. Sebastian Bolz, Moritz Kelber, Ina Knoth und Anna Langenbruch, die Herausgeber des Bandes, heben im umfangreichen Eingangskapitel hervor, die von Deutschland ausgehende Musikwissenschaft sei in den ersten 120 Jahren ihrer akademischen Geschichte zunächst nur von wenigen Fachvertretern geprägt worden. Von Anfang an sei das junge Fach eher historisch ausgerichtet gewesen. Von Generation zu Generation sei mit Akribie das musikhistorische Wissen gesichtet, gesammelt und systematisiert worden.
Hätten zunächst zentrale Forscherpersönlichkeiten und ihre Schüler die deutsche Musikwissenchaft bestimmt, so hätten unter dem Einfluss der modernen Kultur- und Gesellschaftsentwicklung während der vergangenen Jahrzehnte moderne „Netzwerke“ eine entsprechende Rolle übernommen und für wachsenden internationalen Austausch gesorgt. Was der klassische „Zettelkasten“ gewesen sei, stelle heute das „Netz“ dar, ein Bild für „verwobene, potentiell unbegrenzte Denk- und Sinnprozesse.“
Die dritte Kategorie, welche den Gang der Untersuchung im Eingangskapitel ausmacht, wird mit dem Begriff „Denkstrukturen“ belegt: Diese würden „vernunftbestimmtes, explizites Wissen genauso wie praxeologisches oder implizites Wissen“ präsentieren, wobei stets wache Selbstkritik vonnöten sei: „Sich für musikwissenschaft
liche Denkstrukturen zu interessieren, bedeutet für uns letztlich, grundlegende Fragen nach den Entstehungsprozessen von Wissen über Musik zu stellen.“
Neben dem einleitenden programmatischen Beitrag setzt sich die vorliegende Studie aus siebzehn Aufsätzen zusammen, die Redundanzen vermeiden. Wie breit die Aufsatzsammlung thematisch gelagert ist, belegt etwa der Beitrag von Carolin Krahn, der „Rahmenbedingung für eine kosmopolitische Musikwissenschaft – nicht nur in Deutschland“ zum Thema hat, zugleich aber wohltuend handfest daherkommt: So sei im Blick auf angehende Musikwissenschaftler für das „ernsthafte Erlernen“ von mindestens zwei speziell fachbezogenen Fremdsprachen einzutreten. Wichtig sei zugleich, verschiedene „Musikwissenschaften“ kennenzulernen. Ähnlich bedeutsam sei die länderübergreifende Bereitstellung und Digitalisierung musikalischer Datenbanken. Von Vorteil sei für Studierende und Postdocs überdies, namhafte Musikwissenschaftler im Zuge eines akademischen Austauschs regelmäßig zu erleben. Nach Möglichkeit sollten angesehene Musikologen auch feste Hochschulstellen im Ausland bekleiden, um die notwendigen „Netzwerke“ auszubauen und mit einer persön-
lichen Note zu bereichern.
Albrecht Goebel