Schubert, Franz

Winterreise op. 89 D 911

Peter Schreier (Tenor), Dresdner Streichquartett

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Profil/Edition Günter Hänssler PH 14051
erschienen in: das Orchester 10/2015 , Seite 77

Im Juli dieses Jahres hat Peter Schreier seinen 80. Geburtstag gefeiert. Vor zehn Jahren, mit 70 also, verabschiedete er sich aus seinem Leben als Sänger, stimmlich vollkommen jung geblieben, auch körperlich und geistig noch immer auf beneidenswerter Höhe. Am 5. März 2005 sang er zu diesem Anlass zum letzten Mal Schuberts Winterreise ein, an einem Ort, der zu seinem Leben gehörte wie der Gesang selbst, Dresden, mit einem Ensemble, das er aus seinen jüngsten Künstlerjahren kennt und schätzt, dem Dresdner Streichquartett. Vorliegende Einspielung in der Dresdner Lukaskirche zeugt von der menschlichen und stimmlichen Reife des weltbekannten Sängers wie kaum eine andere, ist sie doch so etwas wie der krönende Abschluss seines üppigen Lebenswerks als einer der bedeutendsten Liedsänger aller Zeiten.
Das Booklet ist unterhaltsam aufbereitet mit Fotos aus Schreiers Zeiten als Sängerknabe beim Dresdner Kreuzchor, als Belmonte an der Staatsoper Dresden und einigen Impressionen der Probenarbeit mit dem Dresdner Streichquartett. Es skizziert in einem informativen Essay Schreiers Werdegang vom damals bereits herausragenden Knabenalt bis hin zur 2005 entstandenen Abschlusspräsentation, vorliegendem Album, das neben der Einspielung von Schuberts Winterreise in der Fassung des Kasseler Komponisten Jens Josef für Tenor und Streichquartett auch eine DVD von 27 Minuten Länge enthält.
Hierin führt MDR-Figaro-Opernredakteurin Bettina Volksdorf ein kurzweiliges Gespräch mit Peter Schreier zu dessen Herangehensweise an die Winterreise im Allgemeinen und Speziellen wie beispielsweise der prägenden Arbeit mit Swjatoslav Richter, mit dem er zur Wiedereröffnung der Semperoper die Winterreise erstmals interpretierte, und András Schiff, seinem anschließenden Duopartner, über die Reproduktion von Emotionen in Liedern sowie darüber, ob die Winterreise mehr der Romantik als der Klassik zuzuordnen sei und vielleicht gar politische Momente beinhalte. Auch über seine Eindrücke während der Arbeit mit jungen Sängern in Meisterkursen spricht Schreier und seine klanglichen Vorstellungen in den Proben mit dem Dresdner Streichquartett.
Letzteres musiziert den ursprünglichen Klavierpart der Winterreise technisch, klanglich und intonatorisch einwandfrei, die virtuosen Momente, wie wir sie zum Beispiel im Rückblick hören oder in Der stürmische Morgen, könnten, wie auch die kammermusikalische Herausarbeitung einzelner Stimmen, präziser nicht sein. Und doch vermisse ich eine noch mutigere Herangehensweise an die vielgestaltigen dynamischen Momente, das lustvolle Hervorheben von schroffen, unschönen Momenten (Im Dorfe), mehr klangliche Trockenheit und Fahlheit (Wasserflut, Der Wegweiser) oder leidenschaftlichere Wildheit (Der stürmische Morgen). Zwar vermag die Winterreise in dieser Fassung den Bildern mehr Plastizität zu verleihen, an die emotionale Tiefe, so wie sie die Zusammenarbeit mit Swjatoslav Richter aufweist, kommt sie jedoch nicht heran.
Kathrin Feldmann