Franz Schubert
Winterreise for String Quartet
Voyager Quartet
Name des Streichquartetts ist für das Werk Programm: Das im Jahr 2014 gegründete Voyager Quartet spielt Schuberts Liederzyklus Winterreise. Das Ensemble konzipiert nach eigenen Worten „Programme, die eine enge Verbindung schaffen zwischen der gespielten Musik und dem Begriff ,Reise‘. Das wird sehr weit gefasst; so gab es eine Reise ins All, eben mit der Voyager-Sonde, aber auch eine Reise nach innen oder ins Jenseits.“ Die neue CD scheint auf Letzteres zu zielen. Es ist jedoch eine kurze Reise: Nur zwölf der ursprünglich 24 „schauerlichen Lieder“, wie Schubert sie damals seinen Freunden anpries, werden gespielt.
Andreas Höhricht, der Bratscher des Quartetts, arrangierte im Gegensatz zu Hans Zender, der 1993 die Lieder aus seiner Perspektive heraus kompositorisch interpretierte, die Lieder für vier Streicher um, ohne die musikalische Substanz zu verändern, versah sie mit einem knappen Preludio und insgesamt elf Intermezzi, die sich zwischen den einzelnen Liedern nahtlos aneinanderreihen. So entsteht etwa 50 Minuten Musik an einem Stück.
Die Reise beginnt nach der kurzen Einleitung folgerichtig mit einem unaufgeregten Gute Nacht, das mit dem ersten Intermezzo in einen scheinbar traumlosen Schlaf zu fallen scheint und beinahe unmerklich mit den Gefrorenen Tränen weiterträumt. Zwischen denen und dem nachfolgenden Lindenbaum dissonierende Klänge, die für ein gewisses Unbehagen sorgen, die aber bald durch Vertrautes aufgelöst werden. Doch rasch macht sich größeres Unbehagen bemerkbar und wir befinden uns erneut auf harmonischer Bootsfahrt: Auf dem Flusse, das aber bald auf ärgerlichem Grund havariert, um einem Irrlicht aufgesessen zu sein, das geräuschvoll in einen zwar schön beginnenden Frühlingstraum mündet, welcher aber wiederum albtraumartig endet. Und so geht es stereotyp weiter mit Einsamkeit, Der Wegweiser, Das Wirtshaus und Mut. Höhricht übernimmt oft Themen und Rhythmen des dynamisch verklingenden Liedes, modifiziert sie und lässt sie jeweils in einer Art Ratlosigkeit ausklingen. Die dissonanten Störfeuer nerven mit der Dauer inzwischen schon. Während Mut von einer Art zorniger „Kadenz“ eingeleitet wird, versinken gegen Ende die wunderbaren Klänge der Nebensonnen mit clusterartigen Zerrbildern etwa zwei Minuten lang in pure Hoffnungslosigkeit, bevor der an sich tröstliche Leiermann nach Art „sollst sanft in meinen Armen schlafen“ einem den Rest gibt. Schuberts Musik wird durchweg hervorragend und herzöffnend musiziert. Jedoch stechen die Intermezzi mit ihren dissonierenden Klängen scharf und schmerzhaft in die verletzliche Seele hinein. Bei dem selbstquälerischen, teils aggressiv anmutenden Hin und Her ist dies eine verstörende Reise, in welcher Schubert instrumentalisiert wird, um auf moderne Weise zu menschlichen Abgründen zu gelangen.
Werner Bodendorff