Wolfgang Jansen

Willi Kollo

Autor und Komponist für Operette, Revue, Kabarett, Film und Fernsehen, 1904-1988

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Waxmann
erschienen in: das Orchester 09/2020 , Seite 84

Wolfgang Jansen, Gründer der Gesellschaft für unterhaltende Bühnenkunst und Anreger zur Gründung des Deutschen Musicalarchivs im Zentrum für Populäre Kultur und Musik Freiburg, gehört zu den wichtigen Publizisten im Bereich der musikalischen Unterhaltungskünste im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Seine Biografie über Willi Kollo (eigentlich Kollodzieyski), geboren 1904 in Königsberg und gestorben 1988 in West- Berlin, hat eine mehr als zwanzigjährige Vorgeschichte.

Seit 1990 hatte Jansen unter anderem auch bei der Witwe Renate Kollo und anderen Zeitzeugen Recherchen zum Leben des Komponisten Walter Kollo betrieben. Zur Veröffentlichung der Biografie kam es aber damals nicht, weil die Erben ihre Zustimmung dazu abhängig machten von der Ausführung umfangreicher Änderungen. Auf der Website der Kollos findet man bis heute keinen Hinweis zu der von Jansen auf den aktuellen Forschungsstand gebrachten Neuerscheinung, die Willi Kollos Lebensjahren vor 1945 weitaus mehr Raum gibt als der Nachkriegszeit und seinem kompositorischen Verstummen nach 1961.

Jansens umfangreiche Kenntnisse über die Verzweigungen von künstlerischen, wirtschaftlichen, politischen und medialen Bedingungen aller musikalischen Unterhaltungsgenres und ihrer Produktionsmechanismen garantieren eine facettenreiche Lektüre. Diese umfangreiche Lebens- und Werkschau schlägt einen Bogen von Willi Kollos Texten und Kompositionen für Berliner Operettenpossen, zunehmend von amerikanischen Tanzformen beeinflussten Gesangsoperetten und pikanten Revuen bis zu seinen Experimenten mit einem deutschen Typus des Musicals in den Jahren nach 1950.

Die nach den historischen Zäsuren des 20. Jahrhunderts gegliederten Kapitel beinhalten Einführungen in das Schaffen des Operetten-, Schlager- und Filmmusikkomponisten sowie des Textdichters und Bühnenautors. Eingestreut sind Textdokumente aus Willi Kollos verschiedenen Lebensphasen.

Jansen ist es gelungen, neben dem Lebensbild auch die verschiedenen Szenen der Berliner Revueund Operettentheater und deren turbulentes Personalkarussell profund darzustellen. Willi Kollos Beitritt zur NSDAP nach der Machtergreifung und seine in der Nachkriegszeit vermutlich neutrale Haltung zur Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weiltkriegs werden unter Berücksichtigung der Gleichschaltung und radikalen Umgestaltung der Berliner Bühnen von 1933 bis 1945 reflektiert. Die Balance zwischen menschlicher Annäherung und Objektivität ist überzeugend. Jansen will Willi Kollo, dessen frühe Jahre stark von dem unregelmäßigen Künstlerleben seiner Eltern geprägt waren, verstehen. Die künstlerische Abnabelung vom Vater Walter, für dessen Operetten der Sohn ein vielseitig einsetzbarer Mitarbeiter war, und Willi Kollos beeindruckende Produktivität bis zur Leitung eines Theaters im Hamburger Stadtteil Eppendorf erweisen sich als spannendes Einzelschicksal.

Roland Dippel