Böhm, Tomas

Wiener Jazztrio

Musik, Psychoanalyse und Überleben im Nationalsozialismus. Roman

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Psychosozial-Verlag, Gießen 2011
erschienen in: das Orchester 09/2012 , Seite 70

Erst der Untertitel macht deutlich, um was es in diesem Roman wirklich geht: um Musik, Psychoanalyse und Überleben im Nationalsozialismus. Und dass das so aufgespannte Thema von anhaltendem Interesse ist, zeigt nicht nur die vorliegende aktuelle Taschenbuchausgabe, sondern auch die fast schon kuriose Geschichte des Buchs: Im Jahr 2000 in schwedischer Sprache veröffentlicht, erschien es erstmals 2001 in deutscher Übersetzung im Wiener Czernin-Verlag – allerdings unter dem englischen (!) Titel The Vienna Jazz Trio und ist in dieser Form dort auch heute noch gebunden zu einem erstaunlichen Preis lieferbar. Die mit deutschem Titel versehene (durchkorrigierte) Ausgabe aus dem Iatros-Verlag (2004) ist hingegen längst vergriffen. Die neuerliche Herausgabe (in der Reihe Haland & Wirth unter dem Dach des Psychosozial-Verlags) dürfte nun aber nicht allein den erreichen, der sich für Jazz und für die im „Dritten Reich“ angefeindete Musik interessiert, sondern auch den lesefreudigen Psychologen – quasi das Spiegelbild des Autors. Denn Tomas Böhm (* 1945) ist nicht nur Hobby-Literat und Hobby-Jazzer sowie Spross einer 1938 emigrierten ungarisch-österreichi­schen Familie, sondern vor allen Dingen ein wissenschaftlich ausgewiesener praktizierender Psychoanalytiker.
Kein Wunder also, dass sich vor diesem Hintergrund in seinem Roman die verschiedenen Facetten zu einer zeitgeschichtlichen Melange verbinden. Autobiografisch ist sie allerdings nur insofern, als Böhm eigene Träume wahr werden lässt: in einer Unterhaltung mit Sigmund Freud, Sitzungen bei dessen Schüler Wilhelm Reich oder in illustren nächtlichen Jam Sessions. Einerseits wird der Bogen weit aufgespannt und die Prota-
gonisten markant im Zeichen des politischen Spannungsfeldes charakterisiert, andererseits sind die vier Teile des Romans vielfach unterteilt. Vor inhaltlichen Einwänden schützt sich Böhm durch einen literarischen Kunstgriff, indem er von Anfang an alles als spätere Erzählung erscheinen lässt: „Es ist schon lange her“, sagte Nathan, „ich erinnere mich nicht mehr an alle Einzelheiten.“
Der Jazz bleibt nur eine Ebene des fiktiven, aber in eine realistische politische Rahmenhandlung hineingestellten Romans. Er kommt dort am besten zum Zuge, wo Böhm den Stil einzelner Musiker beschreibt, bleibt jedoch dort auf der Strecke, wenn es um seine gar nicht so einfache Geschichte in dieser dunklen Zeit geht. Wer diese vertiefen möchte, der sollte zu Michael H. Katers Standardwerk Different Drummers: Jazz in the Culture of Nazi Germany (Oxford 1992) greifen, das auch auf Deutsch unter dem Titel Gewagtes Spiel. Jazz im Nationalsozialismus als Taschenbuch erschienen (und leider längst vergriffen) ist. Erinnerungen aus erster Hand finden sich ferner in dem von Franz Ritter herausgegebenen Band Heinrich Himmler und die Liebe zum Swing – Erinnerungen und Dokumente (Leipzig 1994).
Michael Kube