Stephan Mösch (Hg.)

Wie viel Mozart braucht der Mensch?

Musik im Wertewandel

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 02/2023 , Seite 62

Corona glücklich hinter sich lassend, lud das Mozartfest Würzburg aus Anlass seines 100. Geburtstags im Jahr 2021 zu einer Vortragsreihe rund um das Thema Mozart ein. Das Fazit liegt als kleiner Essayband vor. Die darin sehr direkt gestellte Frage, die auch dem Buch seinen Titel gab, ist offenbar kompliziert. Denn eigentlich beantwortet sie nur Bundespräsident Steinmeier in seinen Eröffnungsworten: Ohne Mozart und seine Musik „würde unserem Selbstverständnis, unserem Weltverständnis und den Möglichkeiten, dafür einen Ausdruck zu finden, etwas Unersetzliches fehlen.“ Aber was? Das bleibt offen.
Die meisten Autor:innen beziehen sich auf große Geister vor ihnen. So sind es bei dem Literaturwissenschaftler Peter-André Alt Friedrich Schiller und Sigmund Freud, deren Werke Über die ästhetische Erziehung des Menschen und Das Unbehagen in der Kultur die Kultur zu einem unersetzlichen Instrument der Selbst- und Weltwahrnehmung machen; der Historiker und Philosoph Hans Ulrich Gumbrecht hält ein kleines Proseminar mit Einblick in die Ästhetiken von Kant, Hegel, Kierkegaard und Schopenhauer und reflektiert über die Implikationen des „Misslingens“ von Mozarts Leben im Spannungsverhältnis zu der „überwältigenden Schönheit des Werks“.
Als weniger anregend erweisen sich die Ausführungen des Managers Thomas Girst, die altbekannte Merksätze aus Sponsoring-Referaten mischen mit Appellen an Künstler:innen, mehr Demut im Umgang mit Steuergeld aufzubringen. Geistig mehr zu kauen gibt Peter Gülke mit seinem Text „Der ferne Mozart. Machen wir es uns mit ihm zu einfach?“, in dem der Musikwissenschaftler und Dirigent sich in eine überbordende Fülle von klugen Gedanken zu Mozart und als einziger dieses Sammelbands auch in musikalische Analyse begibt. Recht erholsam liest sich der Text des Theologen Christoph Markschies, der einen amüsant-fiktiven Dialog mit Karl Barth über Mozart führt und als verbindend zwischen beiden deren dialektische Arbeitsweise in Komposition und theologischer Argumentation herausarbeitet.
Last, but not least sei die Komponistin Isabel Mundry mit ihrem Text „The other Mozart“ benannt, die andere Töne zum Klingen bringt – Töne kultureller Differenz, die aber nicht gleichzusetzen sind mit kulturellem Abstand. Vielmehr verlangt Mundrys Text eine neue Form des Zuhörens in andere Kulturen hinein – auch bei Mozart.
Das schön gemachte Buch eignet sich gut als kleines Geschenk, wenn auch die daraus neu zu gewinnende Erkenntnis nicht gleichmäßig über den Sammelband verteilt ist. Dorothea Kolland