Sebastian Reinhold Sylla

Wie Musik die Welt erschafft

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Genius Verlag
erschienen in: das Orchester 03/2022 , Seite 66

Kann es sein, dass die Ursache für das Bevölkerungswachstum in der Musik liegt? Dass Donald Trumps Präsidentschaft in den USA die Folge eines Musikstils war? Oder dass sich die gegenwärtige Schieflage der Welt mit Hilfe gewisser Musikstücke korrigieren ließe? Diesen zugegebenermaßen reichlich esoterisch klingenden Thesen geht der Musiker und Pädagoge Sebastian Reinhold Sylla in seinem Buch nach – einem Buch, das versucht, ungewöhnliche musikphilosophische Überlegungen auf eingängige Weise zu vermitteln.
Zu diesem Zweck lässt Sylla eine Reihe von historischen und mythologischen Figuren aufmarschieren. Apollon, der griechische Gott der Musik, erzählt vom Urklang, von der Erschaffung von Formen durch Klänge und von der Magie der Musik: „Musik macht die Menschen zu wahrhaftigen Zauberern.“ König Salomon diskutiert mit dem islamischen Erzengel Isrāfīl über Viertel-, Drittel und Halbtöne, die Wertschätzung der Musik im antiken Griechenland und die Fantasielosigkeit der Römer, bei denen Musik hauptsächlich zur Stärkung des Militärs genutzt wurde (was letztlich zum Niedergang des Reiches geführt haben soll). Die indische Göttin Saraswati lädt zum Treffen mit Komponisten wie Bach, Beethoven oder Richard Strauss, und im Rahmen einer ungewöhnlichen Konferenz erinnern Tiere und Elementargeister an die Musik der Natur: „Ihr seid dabei, das Hören zu verlernen, Menschenkinder! Unser Rat an euch: Bekämpft nicht die Symptome, indem ihr uns zu vernichten versucht. Versucht stattdessen, Musik zu machen, die euch entspricht. Menschliche Musik.“
Zwischen all diesen wunderlich-humorvollen Erzählungen verbergen sich ernsthafte musiktheoretische Überlegungen. Sylla berichtet von Pythagoras und der „reinen Stimmung“ im Gegensatz zur temperierten Stimmung der Neuzeit, er beleuchtet den Zusammenhang zwischen Musik und Gehirn und beschreibt wissenschaftliche Experimente, die untersuchen, wie Tiere und Pflanzen auf Musik reagieren. Und er stellt die Frage, ob man die Welt mit Musik heilen könnte und holt für deren Beantwortung einen Musikminister aus dem alten China in die Gegenwart. Dessen Beurteilung moderner Musik fällt ungnädig aus: Popmusik sei „Fast-Food-Musik“ und unter anderem verantwortlich für das Plastikmüllproblem, Schlager würden Rechtspopulismus befeuern, HipHop rufe Diskriminierung hervor und Jazz habe die Bevölkerungsexplosion verursacht: „Musik kodiert eine Lebensweise, die noch nicht existiert, aber durch sie ins Leben gerufen wird.“
Mag all das auch absurd klingen: Die Frage, inwieweit Klänge und Schwingungen die Welt formen, ist so alt wie die Menschheit. Sebastian Reinhold Sylla holt sie auf unterhaltsame Weise ins Bewusstsein zurück, in einem Buch zum Stöbern und Staunen, in dem nicht nur der musikbegeisterte Leser fündig wird. Und ob man nun an die realitätsschaffende Kraft der Musik glaubt oder nicht: Sebastian Rein-hold Sylla liefert einige Gedankenanstöße, die es immerhin wert sind, weiter verfolgt zu werden.
Irene Binal