Ingvar Hellsing Lundqvist
Wie man ein Genie tötet
Roman
Genau dreißig Jahre ist es her, dass die musikalische Welt Kenntnis erhielt von einem beachtlichen Werk jugendlicher Schöpferkraft, das im Wien des späten 19. Jahrhunderts entstanden war. Hans Rott, der Bruckner-Schüler und Studienkollege von Gustav Mahler, hatte seine 1. Sinfonie 1880 komponiert, war damit jedoch bei den Preise und Stipendien vergebenden Größen der Stadt gescheitert und kam seitdem nicht mehr in die karrierefördernden Gänge. Daraufhin landete er in der Psychiatrie und starb dort mit nur 26 Jahren.
Der schwedische Autor Ingvar Hellsing Lundqvist hat einen Roman vorgelegt, den man eine Dokufiktion nennen kann: Sachhaltige Kernbestände werden mittels narrativer Ausschmückung verkleidet, vergrößert und gedeutet, wobei Außen- wie Innenperspektive sich abwechseln. Der Text ist in 51 Szenen unterteilt, mit der historisch verbürgten Szene als Rahmenhandlung, in welcher der junge Komponist in einem Eisenbahnabteil einen Passagier mittels gezückten Revolvers am Anzünden einer Zigarre hindert: Brahms habe den Zug mit Dynamit gefüllt!
Mit dem Namen des berühmten Meisters des anti-wagnerianischen und also anti-neudeutschen musikalischen Lagers ist der Antagonismus benannt, der sich durch das gesamte Buch zieht und seinen Titel erklärt. Mittels des sinfonischen Establishments, mit akademischer Tradierung und dem Ausgewogenheitsmaß, für das hier Johannes Brahms steht, wird ein hoffnungsvolles Talent musikalischer Veränderung und Dynamisierung fertig gemacht und in den Tod getrieben.
Die einfache Botschaft, die sich auf die Ablehnung der Rott-Sinfonie durch Brahms stützen kann, wird zum hypertrophen Muster der gesamten Lebensbeschreibung: „Der Mann, der einen Komponisten töten sollte…“ Brahms, der Mörder, Eduard Hanslick und Karl Goldmark seine Helfer. Da ist man schon über die Hälfte des Buchs mit seinen mal primitiven, mal subtileren Schwarz-Weiß-Formulierungen hinaus, hat auch die Guten kennengelernt, die Freunde Guido Adler, Friedrich Löhr, den Lehrer Anton Bruckner.
Man diskutiert über den neuen Menschen, die Emanzipation der Frau, Gesellschaftsreform, die Zukunftsmusik, Vegetarismus. Über den leichtfertigen, geldverprassenden Halbbruder, mit dem die frühe Vollwaise zusammenlebt, den bösen Vater der jungen Louise, die Rott unglücklich liebt, und den gnadenlosen, Hirne tranchierenden Psychiatrieleiter, dem ein gutmeinender junger Arzt entgegensteht.
Der Stil des Ganzen ist hölzern, die Aufreihungen sind in ihrer Tendenz meist vorhersehbar und Differenz und Disparität letztlich immer aus milieutheoretischen Unterstellungen ableitbar. Künstler-Heros-Literatur: der Unverstandene, der seiner Zeit Vorauseilende, das Opfer. Und dem gegenüber die Missgunst, die Ignoranz und die Machtsicherung. Ein an Stilblüten reiches Werk. Mit Formulierungen wie „als das Schlafzimmer in gefrorenem Schweigen den Atem anhielt“ muss gerechnet werden.
Bernhard Uske