Werner Grünzweig

Wie entsteht dabei Musik?

Gespräche mit sechs Komponisten und einer Komponistin über ihre Studienzeit

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bockel, Neumünster
erschienen in: das Orchester 11/2019 , Seite 59

Wie entsteht Musik? Wie lernt man Komponieren, was treibt Komponisten der Neuen Musik an und wie lief ein Musikstudium vor dem Bologna-Prozess ab, also der Vereinheitlichung europaweiter Studiengänge? Diesen Fragen ist der österreichische Musikwissenschaftler Werner Grünzweig nachgegangen, in sieben Interviews, in denen Komponisten an ihre Studienzeit zurückdenken – und an einen besonderen Lehrer, nämlich Gösta Neuwirth. „Für mich war diese Figur Gösta Neuwirth von Anfang an ein Faszinosum“, erinnert sich Bernhard Lang. „Man muss sich vorstellen, wie er mit langen, wallenden, schwarzen Haaren, langem schwarzen Mantel und blassem Gesicht durch die Hallen gehuscht ist, gefolgt von seiner Anhängerschaft.“
Gösta Neuwirth hat seine Studenten geprägt. Sie erzählen von seinem unkonventionellen Unterricht, oft auch außerhalb der Universität, von seinen Reaktionen auf die Kompositionen seiner Studenten, von seiner akribischen Arbeitsweise. „Mit Gösta war das ein besessenes Herumreiten auf jedem einzelnen Detail“, meint Georg Friedrich Haas, wobei es darauf angekommen sei, „was das jetzt eigentlich im kulturell-historischen Kontext bedeutete, was man da machte“.
Peter Ablinger verdankt Gösta Neuwirth „diese Gründlichkeit, auch die des Reflektierens, […] die Dinge bis zum Bodensatz durchzudenken, auch wenn ich dann die Inhalte für mich selbst auf den Kopf gestellt und andersrum gewendet habe.“ Isabel Mundry erlebte Gösta als einen Mann, „der auf sehr eigenwillige Weise die Dinge so in Beziehung zueinander setzt, dass sie für ihn sinnhaft werden und aus dieser Perspektive auch für andere interessant sind.“ Orm Finnendahl erinnert sich daran, wie Neuwirth ihn dazu bringen wollte, den Übergang von Strukturdiagrammen zu ausformulierter Musik zu vollziehen; Enno Poppe erzählt, wie er in der U-Bahn Kontrapunkte schrieb und bei seinem Lehrer damit auf Unverständnis stieß, und Hanspeter Kyburz bezeichnet Neuwirths Unterricht als „sehr anregend, sehr offene, fremde Welten“, stellt jedoch die Frage: „Aber was macht man dann mit diesen Aliens, die man gesehen hat?“
All das ergibt nicht nur ein faszinierendes Porträt, sondern gewährt auch Einblicke in das Kompositionsgeschehen. Es geht um Diskussionen über Partituren, um Klavierstücke aus Farbspritzern, um Kontraste, Analysen und die Entwicklung der Neuen Musik. Gleichzeitig wird die Zeit vor dem Bologna-Prozess lebendig, eine Zeit mit Freiräumen für unorthodoxe Methoden. Heute, meint Georg Friedrich Haas, hätte ein Lehrer wie Gösta Neuwirth keine Chance mehr.
So ist Werner Grünzweigs Buch ein Ausflug in die universitäre Vergangenheit und eine Hommage an einen Lehrer, der seinen Studenten mehr vermittelte als trockenes Handwerk. Nicht umsonst erinnert sich Orm Finnendahl noch heute daran, was Neuwirth in Finnendahls erster Stunde zu seiner Komposition sagte: „Ich sehe mir das an, als wäre es mein eigenes Stück, und überlege, wie würde ich damit umgehen, wenn ich das vor zehn Jahren geschrieben hätte.“
Irene Binal