Werke von Zoltán Kodály

Marc Coppey (Violoncello), Barnabás Kelemen (Violine), Matan Porat (Klavier)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Audite
erschienen in: das Orchester 10/22 , Seite 71

Während viele Werke seines Freundes (und Rivalen) Béla Bartók zum festen Bestand des Konzertrepertoires gehören, ist es um Zoltán Kodály ein bisschen still geworden. Sehr zu Unrecht! Abgesehen von seinen Leistungen als Musikforscher und Pädagoge gebührt auch dem Komponisten Kodály hoher Respekt. Allzu schnell konsumieren wir seine Musik als „abgemilderten Bartók“ und verkennen, dass seine Adaptionen und Verarbeitungen ungarischer Bauernmusik nicht weniger Originalität aufweisen als diejenigen Bartóks, wenngleich Kodálys Musik in der Tat selten in ähnlich kantig-dissonante Regionen vorstößt wie die des Kollegen.
Insbesondere seine frühen Kammermusikwerke zeigen, wie individuell Kodály die Einflüsse der vom Odium Liszt’scher Salonhaftigkeit befreiten, authentischen Bauernmusik für sein Schaffen fruchtbar macht: „Nicht die zielstrebige Entwicklung eines […] „Materials“ steht im Vordergrund, sondern das sensible Aufeinanderhören, der flexible Dialog, bei dem sich die Spieler immer wieder gegenseitig in neue expressive Ausdruckssphären hineinziehen“, formuliert Michael Struck-Schloen im (exzellenten!) Begleittext mit Bezug auf Kodálys Cellosonate op. 4. Und selbst die singuläre Solosonate op. 8 – ein Werk, dessen Herausforderungen selbst im Post-Siegfried-Palm-Zeitalter noch Schrecken verbreiten – enthält im beschriebenen Sinn gleichsam Dialogisches. Es entstehen weite Räume, in denen die Musik improvisatorisch anmutet. Das „Material“ entfaltet sich aus sich heraus.
Der französische Cellist Marc Coppey – Professor am Pariser Conservatoire, Festivalleiter in Colmar, als Solist weltweit unterwegs, hierzulande ungeachtet eines ersten Preises beim Leipziger Bach-Wettbewerb indes weniger bekannt – spielt Kodálys Musik mit Verve, Passion und zugleich perfekter Detailkontrolle. Die halsbrecherischen Schwierigkeiten der Solosonate erklingen unter seinen Händen mühelos, sein Goffriller-Cello bietet ihm ein reiches Spektrum an Klangfarben, die Coppey souverän realisiert. Im Vergleich zu Konkurrenzaufnahmen der Solosonate erscheint Coppeys Spiel hier und da – beispielsweise sogleich im Hauptthema des 1. Satzes – einen Tick geradliniger. Französischer? Dem hörenden Verstehen der durchaus komplexen Formverläufe Kodálys kommt dies allemal zugute.
Barnabás Kelemen ist Coppeys kongenialer Partner im Duo op. 7 für Violine und Cello. Beide Interpreten nehmen ihre Rollen mit solistischem Aplomb wahr und agieren zugleich subtil kammermusikalisch. Mit Matan Porat steht Coppey ein außergewöhnlich vielseitiger, brillanter Pianist zur Seite, der ebenfalls das Kodály-typische Spektrum vom Quasi-Improvisando bis hin zu jagend motorischen Rhythmen grandios beherrscht. Mit einem als „Sonatina“ posthum veröffentlichten Einzelsatz, der mutmaßlich als Kopfsatz der Sonate op. 4 konzipiert war, enthält die CD zudem eine interessante, selten gespielte „Zugabe“.
Ein überzeugendes Plädoyer für einen in seiner Universalität noch zu entdeckenden Komponisten!
Gerhard Anders