Luigi Boccherini

Werke von Luigi Boccherini

Ophélie Gaillard (Violoncello), ­Sandrine Piau (Sopran), Pulcinella Orchestra, Ltg. Ophélie Gaillard

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Aparte AP194, 2 CDs
erschienen in: das Orchester 07-08/2019 , Seite 71

Nein, „das“ Menuett ist nicht zu hören! Dafür aber jenes Werk, mit dem bis weit ins 20. Jahrhundert Luigi Boccherinis Name annähernd so oft assoziiert wurde: sein B-Dur-Cellokonzert G 482, das seine Bekanntheit allerdings einer entstellenden Bearbeitung durch den Cellisten Friedrich Grützmacher verdankte. Hier erklingt es selbstverständlich in der Originalversion. Ansonsten halten sich im vorliegenden CD-Doppelpack Bekanntes und weniger Bekanntes die Waage: Gewiss gehört das originelle Quintett La Musica Notturna delle Strade di Madrid mittlerweile zu den Boccherini-Hits. Seltener begegnet man dem D-Dur-Cellokonzert G 479, der Sinfonie „La Casa del Diavolo“, und im Bereich der Raritäten befinden wir uns mit der Erstfassung des Stabat Mater G 532. Dieses Werk hat Boccherini um 1800 für mehrere Solisten umgearbeitet, die hier zu hörende Urversion ist ein bemerkenswertes Unikat: eine liturgische Kammermusik für Sop­ran und Streichquintett. Im Anschluss hieran – und atmosphärisch an das moll-timbrierte Andachtswerk anknüpfend – hören wir am Ende von CD 2 noch die c-Moll-Cellosonate G 2.

Ein Sammelsurium? Keineswegs, bildet doch das Cello gleichsam ein Farbkontinuum, das sich durch fast alle Werke zieht. Boccherinis weithin gerühmtes Spiel und seine celloaffinen Kammermusikwerke, die in Abschriften und Druckausgaben weite Verbreitung fanden, prägten im 18. Jahrhundert entscheidend die Entwicklung der Kniegeige zum virtuosen Soloinst­rument. Ophélie Gaillard, weiblicher Spiritus rector dieser CD-Produktion, huldigt gleichermaßen dem großen Komponisten und Cellisten. Die vielseitige Musikerin – sie studierte unter anderem Barockcello bei Christophe Coin – spielt die Werke auf einem Cello von Francesco Goffriller und leitet zugleich das von ihr gegründete Pulcinella Orchestra, ein Spezialisten-Ensemble mit historischem Instrumentarium.

Gaillards stilsicheres, technisch untadeliges, auch in den höchsten Lagen intonationssicheres Spiel bereitet über weite Strecken Hörgenuss und Freude. Manche Zugriffe muten tonlich recht beherzt an: Sollte da jemand den Barockbogen „überspannt“ haben? Ein wenig über die Stränge schlägt Gaillard in den Kadenzen: Anspielungen an Boccherinis Fandango und vorweggenommene Schubert- und Beethoven-Zitate mögen als witzig empfunden werden, die etwas gewaltsam herbeigeführte iberische Landschaft im 1. Satz des D-Dur-Konzerts hinterlässt einen faden Nachgeschmack – da mag Boccherini ein noch so überzeugter Wahl-Spanier gewesen sein!

Positive Eindrücke vermittelt das lebendige, virtuose Spiel des Pulcinella Orchestra. Verspielte Eskapaden des Continuo-Pianoforte-Spielers scheinen ebenso zum Konzept der Produktion zu gehören wie die koloritträchtige Einbeziehung von Perkussion und Barockgitarre. Von allem Flitterkram unbeeindruckt präsentiert sich das wunderbare Stabat Mater: Sandrine Piau singt mit innigem Ausdruck, die fünf Streicher begleiten delikat und klangschön.

Gerhard Anders