Werke von Honegger, Koechlin, Erb und anderen: Faszination Englisch-Horn
Lajos Lencsés (Englischhorn), Gaby Pas-van Riet (Flöte), Antal Vàrady (Orgel), Shoshana Rudiakov (Klavier), Arnaud Valin (Violine), Jean-Philippe Martignoni (Violoncello), Südwestdeutsches Kammerorchester Pforzheim, Ltg. Vladislav Czarnecki, Savaria Sinfonieorchester, Ltg. Gergely Madaras
Das Englischhorn stammt weder aus England, noch gehört es der Hörnerfamilie an. Sein Name beruht wohl auf einem Missverständnis. Die Alt-Oboe in F, die sich im frühen 18. Jahrhundert aus der Oboe da caccia entwickelte, wurde nämlich anfangs „cor anglé“ (abgewinkeltes Horn) genannt, was wie „cor anglais“ (englisches Horn) klingt.
Zwar findet sich die Oboe da caccia, heute meist vom Englischhorn geblasen, auch schon bei Bach. Seine eigentliche Schöpferstunde schlug indes in der Romantik. Berlioz, Schumann und Wagner, Dvóřak und Sibelius entdeckten es als Stimme der Einsamkeit, vagierend zwischen Weltschmerz, Mythos und Mystik – man denke nur an den Hirtenreigen zu Beginn des dritten Tristan-Akts oder an den Schwan von Tuonela in Sibelius’ Lemminkäinen-Suite.
Hingegen inspirierte das Englischhorn nur wenige Komponisten kammermusikalisch oder gar zu einem Solokonzert. Ihnen forschte der ungarische Oboenvirtuose Lajos Lencsés, seit 1967 Solist der Philharmonia Hungarica und bis 2010 Solo-Oboist des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart, mit Entdeckungslust nach. Wobei er auf den frankofonen schweizerischen Komponisten Arthur Honegger stieß. Ihn beauftragte eine amerikanische Mäzenin 1947 mit einer konzertanten Musik für Englischhorn. Ihrer Initiative verdankt die Bläserwelt ein spielvergnügtes, im Mittelsatz elegisch getöntes Doppelkonzert, worin die kapriziöse Flöte das melodiöse Englischhorn umgaukelt und umschwärmt. Mit diesem Kammerkonzert, 1983 im SWR Funkstudio Stuttgart aufgenommen, eröffnen die Solisten Gaby Pas-van Riet (Flöte) und Lajos Lencsés (Englischhorn) – vom Südwestdeutschen Kammerorchester Pforzheim wie auf Samt gebettet – die spannende Werkfolge der Edition.
Die Monodie 1947 für Englischhorn solo des Franzosen Charles Koechlin, eines Schülers von Gabriel Fauré, und die Première sonatine pour cor anglais et orgue (1940) des Straßburger Organisten Marie-Joseph Erb bereichern das Charakterbild des Blasinstruments, bevor sich Paul Hindemith – der seinem Verleger angedroht hatte, er werde „das ganze Blaszeug besonaten“ – mit seiner 1941 in den USA entstandenen Sonate für Englischhorn und Klavier keck und kurzweilig einmischt.
Welch ein Rösselsprung von Hindemiths Glasperlenspiel zur spirituellen Sphärenmusik des Letten Pēteris Vasks! Im Umbruchsjahr 1989 schrieb er dem Stamford Chamber Orchestra ein musikalisch und spieltechnisch herausforderndes Konzert für Englischhorn und Orchester, das Lajos Lencsés erst spät für sich entdeckte und 2017 in Ungarn live aufnehmen ließ. Der Konzertmitschnitt besticht durch die Unmittelbarkeit und Frische der Aufführung mit dem Savaria Sinfonieorchester in Szombathely.
Lutz Lesle