Werke von Gulda, Prokofiew und Poulenc

Mischa Cheung/Yulia Miloslavskaya (Klavier), Janic Sarott (Drums), Stanislaw Sandronov (Electric Bass), Giraud Ensemble Chamber Orchestra, Ltg. Sergey Simakov

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Solo Musica
erschienen in: das Orchester 03/2020 , Seite 69

Nach knapp fünf Minuten biegt die Musik – wieder einmal – in die Klassik ab: Eine Schlusswendung wird umgedeutet zum Katalysator für Neues, das Motiv berührt einen Sextakkord, einen Mollakkord, eine Dominante. Beethoven? Nein, aber es könnte so ähnlich auch von Beethoven stammen, dem Klassiker mit rebellischem Temperament, darin dem Komponisten dieses Stücks verwandt: Friedrich Gulda.
Der klassisch geschulte Pianist mit Hang zum Jazz und zu exzentrischen Bühnenspektakeln führte sein Concerto for myself 1988 erstmalig auf. Das Werk ist eine leichtfüßige Hommage an Bach, Mozart, Beetho­ven und den Jazz. Dramaturgie und Satztechnik des Barock und der Klas­sik sind Gulda bestens vertraut, kein Wunder also, dass er die diversen Stilebenen geschmeidig sich einander ablösen lässt. Vom Intro, das einen Schlager erwarten lässt, zum klassisch geformten Thema braucht Gulda am Beginn des ersten Satzes nur ein paar Sekunden; am Anfang des vierten dauert es immerhin knapp anderthalb Minuten, bis – nach sinfonisch getöntem Auftakt – das Klavier sich in lateinamerikanischen Rhythmen austoben darf. Dazwischen liegen ein „Lament for U“, das langsame Sätze aus Bach’schen Klavierkonzerten evoziert, und eine Kadenz mit dem Titel „Of me“. Hier tobte sich Gulda bei der Uraufführung so richtig aus, ließ gar ein heftiges Clustergewitter auf die Zuhörer niedergehen.
Nicht so Mischa Cheung. Der in Zürich lehrende Pianist bietet eine fast schon meditative Kadenz mit zarten Klanggebilden und minimalistischen Rhythmusmustern. Das passt zu seiner Spielhaltung, die gelassener wirkt als der oft rhythmisch impulsive und kernige Zugriff von Gulda. Das Giraud Ensemble Cham­ber Orchestra unter Leitung von Sergey Simakov, erst 2015 gegründet, hinterlässt mit pointiertem und transparentem Spiel einen ausgezeichneten Eindruck.
Der „Blick zurück nach vorn“, das Spiel mit Verweisen und Zitaten und die Kunst der stilistischen Anverwandlung ziehen sich als roter Faden durch die Werkauswahl auf der CD. Als Prototyp kann Prokofjews 1. Sinfonie in D-Dur gelten, in der der Komponist einen Haydn des 20. Jahrhunderts imaginiert. Diese raffinierte Musik wird vom Orchester mit Delikatesse in Szene gesetzt. Hinreißend das sehr kultiviert gespielte Larghetto, nobel gelingt die Gavotte, mit unwiderstehlichem Drive das Finale.
Das gilt ebenso für das Konzert für zwei Klaviere d-Moll von Fran­cis Poulenc. Auch hier führt Simakov sein Ensemble zu prägnantem Spiel. Die jungen Musiker agieren hellwach und kitzeln all die Finessen, den Witz und die überraschenden Wendungen heraus. Partien voll erlesener Klanglichkeit stehen neben unverhohlen aus der Unterhaltungsmusik Geklautem, im zweiten Satz porträtiert Poulenc zudem Mozart. Mischa Cheung und Yulia Miloslavskaya bilden ein fulminantes Duo, das untereinander und mit dem Orchester eine wunderbare Einheit bildet. Absolut mitreißend gelingt das Finale. Kleines Manko der CD: das Booklet enthält keinerlei Werkinformationen.
Mathias Nofze