Werke von Giovanni Bottesini, Astor Piazzolla und Nino Rota

My Double Bass

Ödön Rácz (Kontrabass), Noah Bendix-Balgley (Violine), Franz Liszt Chamber Orchestra, Ltg. Speranza Scapucci

Rubrik: CD
Verlag/Label: Deutsche Grammophon 481 7731
erschienen in: das Orchester 05/2019 , Seite 67

Die auf der CD versammelten Werke beschreiben – gemäß dem ausführlichen und sehr lesenswerten Booklet – eine Reise von Italien nach Südamerika und wieder zurück. Dabei stammen zwei davon aus dem Repertoire der Kontrabassliteratur, der Gran Tango Piazzollas hingegen wurde ursprünglich für das Cello Rostropowitschs geschrieben. Solche Experimente bleiben angesichts einer verhältnismäßig schmalen Literatur für den Kontrabass, der als Soloinstrument in jüngerer Zeit mehr und mehr entdeckt wird, nicht aus; und natürlich stellt sich dabei die Frage, ob eine solche Bearbeitung glückt.
Sicherlich ist Ödön Rácz dafür die geeignete Person, denn der Virtuose wurde geradezu mit dem Bogen in der Hand geboren und entstammt einer Kontrabassfamilie von mehreren Generationen. Als Mitglied der Wiener Philharmoniker hat der Solist ebenbürtige Mitspieler gefunden, die den Gesamtklang der CD auf höchstem Niveau prägen. Das gerät schon im ersten Werk von Bottesini zu solch schwindelerregenden Höhen klanglicher Verschmelzung im Zusammenspiel mit der Solovioline, dass man meint, ein ganz neues Instrument vor sich zu haben. Das Gran Duo (1880) setzt hochdramatisch mit einem Ouvertürengestus an, um sich labyrinthisch verspielt in salonartig virtuose Klangverästelungen zu versteigen, die von den Virtuosen filigran und feinsinnig ziseliert werden.
Die Gesamtleistung aller Mitwirkenden macht aus dieser historischen Ausgrabung – Bottesini war zu seiner Zeit ein Star, geriet aber in Vergessenheit – ein musikalisches Juwel. Für die Bearbeitung des Gran Tango musste der Solist sein ganzes Wissen um die Spieltechnik einsetzen. Zu erwarten wäre, dass es vor allem die dreinfahrenden Basssynkopen wären, die dem tieferen Instrument einen Vorrang gegenüber dem Original einräumten. Doch tatsächlich ist es das intim lyrische Element, diese sehr dezente, manchmal sogar fast schüchtern wirkende Sanglichkeit, worin sich die Stärke des Arrangements ausdrückt. Im Zusammenspiel mit dem Klavier tritt der Solist sogar gelegentlich in den Hintergrund, was schade ist, aber wohl zu einem Instrument gehört, das nicht zu egozentrischer Inszenierung neigt, sondern sich stets in den instrumentalen Gesamtklang einschmiegt.
Mit dem viersätzigen Divertimento Nino Rotas, eigens für seinen Kollegen Petracchi geschrieben und auf dessen Instrument zugeschnitten, präsentiert abschließend der Kontrabass seine ganze Bandbreite an klanglichen und spieltechnischen Möglichkeiten. In einer Leichtigkeit und Komik, die teils zu angsterregender Geschwindigkeit in den Solopassagen mutiert, entfalten die einzelnen Sätze eine hohe Dramatik, wobei besonders der lyrische dritte Satz den Mut zu melodischer Tiefenlage entfaltet und das klangliche Potentzial des Instruments mal zart, mal wuchtig vor Augen führt. Zu wünschen wäre, dass nach dieser Glanzleistung der gesamten Produktion Rácz sein instrumentales Projekt  fortsetzt und einen Komponisten findet, der den Klang des Kontrabasses weiterdenkt.

Steffen A. Schmidt