Werke von Franz Schubert und Roland Moser

Kammerorchester Basel, Ltg. Heinz Holliger

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical
erschienen in: das Orchester 1/2022 , Seite 74

Es ist die letzte Aufnahme des Schubert-Zyklus von Heinz Holliger und dem Kammerorchester Basel, die im August 2020 in der Kirche Don Bosco entstand. Es soll „ein Schubert-Lebensportrait“ sein, das „sechzehn Jahre des Komponierens“ umfassen soll. In allen Werken soll nach Auskunft des Booklets „die Todesnähe präsent“ sein. In Schuberts Fragment zu der Sinfonie D-Dur D 936A scheint sie tatsächlich vorhanden, gehört es doch, ­insbesondere das Andante, zu den letzten kompositorischen Entwürfen des Komponisten. Von Bearbeitern wie Peter Gülke oder Pierre Bartholomee, die versucht haben, unter anderem das wunderbare Andante zu vervollständigen und zu instrumentieren, wählte Holliger den Versuch von Roland Moser aus, der 1982 aus den Skizzen ein „fragmentarisches Klangbild“ entwarf, worin auch der „Fragment-Charakter spürbar bleibt“. Im Vergleich zu den anderen Vorschlägen wird das in der eher nüchternen Instrumentation und dem offenen Ende deutlich.
Dem folgte die „Unvollendete“ D 759, die im Zusammenhang mit Schuberts syphilitischer Erkrankung wohl als Vorbote zum Tod in der CD Platz fand: Eine nicht ganz unproblematische These, zumal er sich wohl erst nach den ersten Skizzen ansteckte und die Krankheit dann erst im darauffolgenden Frühjahr 1823 spürbar wurde. Die Reinschrift stammt aber vom 30. Oktober 1822.
Holliger interpretiert sie mit Leidenschaft und hohem Gestaltungswillen, das Kammerorchester folgt ihm mit schlankem Ton, sehr vital und dynamisch. Jedoch stören insbesondere im Kopfsatz die sehr häufigen und nicht immer inspirierten Temposchwankungen – als ob bestimmte Passagen, die sehr sehnende und untergründige Seelentiefe ausloten, nicht ausgekostet oder nicht durchgehalten werden. Die unterschiedlichen Tempi sind außerdem nicht im Sinne Schuberts, da er beim Vortrag einen fortlaufenden Fluss der Melodie wünschte.
Dass das darauffolgende Nonett in es-Moll mit dem von Schuberts Hand notierten Titel „Franz Schubert Begräbniß-Feyer“ von 1813 wirklich Todesnähe andeutet, scheint überinterpretiert – ebenso dass darin bereits der Kern dessen engelegt sei, „was später bei der ­Unvollendeten und der Großen C-Dur-Sinfonie zur Blüte kommen wird“. Wahrscheinlicher ist, dass hiermit der 16-Jährige ­seinen Austritt wegen schlechter Noten aus dem Wiener Stadtkonvikt ironisch kommentierte.
Nach der erst 2019 entstandenen Komposition Echoraum zum Nonett aus der Feder Roland Mosers, worin er die Motive und Themen in stark verlangsamter Bewegung zeitlich dehnt und sie mit modernen Klängen füllt, folgen wie eine Erlösung zuletzt die Deutschen Tänze op. posth. D 820. Und zwar nicht die originäre Klavierfassung, deren Handschrift erst in den 1920er Jahren entdeckt wurde, sondern in der spätromantischen Fassung von Anton Webern. Heinz Holliger und das Basler Kammerorchester wollten hier „Weberns Ansatz feinster Rubati“ übernehmen und „Schubert aus dem Geiste der Moderne heraus“ interpretieren.
Werner Bodendorff