Werke von Beethoven, Tschaikowsky, Schmidt und Stephan

Berliner Philharmoniker, Ltg. Kirill Petrenko

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BPHR
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 73

Im Juni 2015 wählten die Berli­ner Philharmoniker Kirill Petrenko zu ihrem neuen Chefdirigenten. Im August 2019 trat er mit einer vom Publikum und der Presse umjubel­ten Aufführung von Ludwig van Beethovens 9. Symphonie d-Moll op. 125 das Amt an. Danach schrieb der Guardian über den Dirigenten, dass er die Gabe habe, das Innere einer Partitur zum Leuchten zu bringen. Der Mitschnitt dieses in­terpretatorischen Ereignisses findet sich auch in der hochwertigen Hardcover-Edition mit fünf CDs sowie Videomitschnitten auf zwei Blu-Ray-Scheiben. Eine „klingende Moment-aufnahme der beginnenden Zusammenarbeit zwischen den Berliner Philharmonikern und mir, gleich­sam die Initialzündung unserer Ge­meinschaft“, nennt Petrenko die ex­quisite Kompilation. Dabei werden wichtige Repertoirefelder offenbar, zuvörderst die deutsch-österrei­chische Klassik und Romantik.
Klangschönheit und rhythmi­scher Bewegungsdrang stehen bei der prozesshaften Deutung von Beethovens Neunter im Mittelpunkt aller gestalterischen Bemühungen. Spannungsreich und detailbrillant sind dramatische Zuspitzungen, Ermattungen, apollinisch funkelnde Innigkeit mit tempogerechter Hin­gabe und raffinierter dynamischer Abstufung musiziert. Schillers ely­säische Utopie der „Freude schöner Götterfunken“ wird von exzellenten Solisten (Marlis Petersen, Elisabeth Kulman, Benjamin Bruns, Kwang­chul Youn) und dem stimmfuriosen Rundfunkchor Berlin (Einstudie­rung: Gijs Leenaars) angestimmt. Ohne effekthascherisch zu sprinten oder schleppdampferisch durch Klangmeere zu schippern, führt die zweite Traditionsroute in die See­lentiefe der Musik Russlands, mit der der in Omsk geborene Petrenko aufgewachsen ist.
Repräsentiert wird sie durch Peter Tschaikowskys 5. und 6. Sin­fonie. Transparenz und Gefühlsintensität wohin man hört. Hier wie dort lichtet sich anfängliches Schicksalsdräuen, nimmt allmäh­lich kontrastdramaturgische Kontu­ren an, schwelgt in Erinnerungen und Walzerseligkeit. In der Fünften wird erfolgreich gegen das Fatum aufbegehrt, in der Pathétique ob­siegt es: ein intensiv musizierter finaler Abgesang bis hin zum mut­losen Verlöschen. Ergreifend.
Ein weiteres Petrenko-Anliegen sind zu Unrecht vergessene Komponisten, beispielsweise jene zwischen Spätromantik und Moderne ange­siedelte. Wie Franz Schmidt mit sei­ner 4. Sinfonie C-Dur, die stark von persönlichen Erlebnissen (Tod der Tochter) geprägt ist. In vier nahtlos verbundenen Sätzen offenbaren sich Requiem-Duktus mit lieblichen Erinnerungen, beklemmender Trauermarsch mit Scherzofröhlich­keit. Zum anderen ist es Rudi Ste­phans episodenreiche, effektvoll in­strumentierte, zwischen keck und motorisch mäandernde Musik für Orchester. Ein überzeugendes Plä­doyer für vergessene Tonsetzer!
Als Bonus gibt es auf der Blu-Ray ein längeres Gespräch mit Pe­trenko. Neben kurzen Werkeinfüh­rungen enthält das Booklet noch zwei informative Essays über „Eine soziologische Perspektive auf die Symphonie“ und „Alles andere als endgültige Bemerkungen zum Fi­nalproblem in der Symphonie“.
Peter Buske

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