Richard Strauss

Werke/Kritische Ausgabe

Serie I: Bühnenwerke, Bd. 3a, Salome op. 54

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Verlag Dr. Richard Strauss,
erschienen in: das Orchester 06/2021 , Seite 65

Für seine Salome hatte sich Richard Strauss eigentlich keinen hochdramatischen, sondern einen jugendlich-lyrischen Stimmtyp gewünscht. Entsprechend hat er seine Partitur von 1905 noch einmal überarbeitet: mit den „Dresdner Retouchen“ von 1929. Die haben zwar keine Verringerung der Orchesterbesetzung von über hundert Musikern verlangt, wie es sie von den Verlagen für kleinere Opernhäuser bereits gab, aber eine Klangausdünnung, wann immer Salome singt: besonders in den Bläserstimmen.
Diese „Retouchen“ stehen im Mittelpunkt von Band 3b der „Kritischen Ausgabe“ seiner Werke, die unter der Leitung von Hartmut Schick an der Ludwig-Maximilians-Universität München entsteht – schon jetzt mit spürbaren Auswirkungen auf die Aufführungs- und Besetzungspraxis. Etwa bei Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper oder an der Oper Köln unter François-Xavier Roth. Begeisterte Resonanz kommt regelmäßig auch von Christian Thielemann, der alle erscheinenden Bände immer sofort haben und zur Grundlage seiner Aufführungen machen will: vielleicht auch von der „schönen Optik des enger als bisher gesetzten Notentexts begeistert“ – mehr Überblick, weniger Umblättern.
Die auf 25 Jahre angelegte Edition läuft in sechs Serien mit jeweils verschieden vielen Bänden nicht immer chronologisch. So wurden in Serie I („Bühnenwerke“) die Jugendwerke Guntram und Feuersnot erst einmal hintangestellt und es wurde mit Salome begonnen – auch eine Frage des Bedarfs von Orchestern, Casting-Chefs und besonders von Dirigenten, die sich schon dringlich nach der Neuedition von Orchesterwerken (erschienen Macbeth, demnächst Aus Italien) erkundigen. Strauss-Lieder werden bereits eifrig aus den neuen Bänden gesungen, besonders von jungen Sängern, die sich ihre Aufführungspraxis damit erarbeiten – auch mit dem, was Pauline und Richard für gemeinsame Auftritte in ihre Handexemplare eingetragen haben: geänderte Noten, Ausdrucks- und Atemanweisungen. „Interpretationspraxis im Hause Strauss“, nennt Hartmut Schick das.
Das Strauss-Bild des Romantik-und-Dvořák-Spezialisten Schick hat sich durch die koordinierende und kontrollierende Arbeit bis jetzt schon erheblich verändert. Auch wenn er radikale Änderungen in der Orchesterpraxis nicht erwartet, sieht er in den Partituren doch, wie unterschätzt etwa die Tondichtung Macbeth bisher war: „keineswegs schlechter als Don Juan oder Till Eulenspiegel und ein ganz tolles Werk.“ Interessant sei, wie Strauss in der 2. Fassung die Instrumentierung „entschlackt und lichter setzt“. In der Kammermusik ist der Erfolg schon da: Die Cello-Sonate wurde in ihren zwei Fassungen bei Sony auf CD eingespielt.
Aktuell laufen bei Schick von seinen Mitarbeitern im Hundert-Seiten-Pack Satzvorlagen für die Edition des Rosenkavalier ein. Die kritische Frage: Soll das Autograf oder der Erstdruck die entscheidende Quelle sein? Man sieht, die wissenschaftliche Verpflichtung ist entscheidend für das Jahrhundert-Projekt der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.
Uwe Mitsching