Werke für Solovioline von Bartók, Prokofjew und Ysaÿe

Werke für Solovioline von Bartók, Prokofjew und Ysaÿe

Franziska Pietsch (Violine)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Audite 97.758
erschienen in: das Orchester 04/2019 , Seite 76

Die Orientierung an Formensprache und Ausdrucksvielfalt von Johann Sebastian Bachs solistischen Violinkompositionen in Werken aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bildet den Hintergrund für Franziska Pietschs neueste CD.
Hat man erst einmal akzeptiert, dass sich die Geigerin ausschließlich auf häufig eingespielte Stücke besinnt, ohne jenseits der ausgetretenen Pfade nach Alternativen zu suchen (wie sie sich beispielsweise bei Honegger und Hartmann finden ließen), wird man mit einer ausgesprochen intelligenten Einspielung belohnt.
Deren vielleicht spannendster Aspekt liegt darin, dass Pietsch klanglich nichts beschönigt, sondern die Hörer an den enormen technischen Schwierigkeiten der Werke teilhaben lässt. Dies macht sich insbesondere bei der Wiedergabe von Béla Bartóks Solosonate bemerkbar: Man ist hier – unterstützt durch hervorragende Mikrofonierung und Aussteuerung – ganz nah dran am Geschehen, man spürt die Körperlichkeit der Musik dort, wo sich die Geigerin nicht (wie dies inzwischen viele ihrer Kollegen beim Vortrag dieses Werks tun) hinter aufgesetztem Schönklang versteckt.
Im Gegenteil: Pietsch zeigt, dass das Instrument gelegentlich für die ihm von Bartók anvertrauten Aufgaben zu eng ist. Sie führt es als einen unter dem Bogendruck ächzenden Klangerzeuger vor, lässt den Kampf gegen die Partitur insbesondere in der Fuge leibhaftig zu Klang werden und steigert ihn dann bis zur Besessenheit oder trommelartigen Effekten in der Schlusspassage. Dazu kommt ein Umgang mit dem Notentext, der – vor allem im einleitenden „Tempo di ciaccona“ – den Klängen und Registerwechseln zugunsten einer Suspension rigoros gemessener Zeit nachspürt. Dies führt letzten Endes dazu, dass Bartóks Sonate jeglichen Anschein eines falsch verstandenen Klassizismus verliert, sondern zu dem wird, was sie auch ist: ein ausgesprochen modernes Stück, das an einigen Stellen geradezu experimentell wirkt.
Dass Pietsch es darüber hinaus schafft, der D-Dur-Sonate op. 115 von Sergej Prokofjew einen solchen Anstrich zu verleihen, ist die eigentliche Überraschung dieser Produktion. Der von seiner kompositorischen Faktur her recht konventionelle Dreisätzer wird durch vielgestaltige, immer wieder überraschende Agogik und durch weit gespannte dynamische Gestaltungsräume aufgebrochen; er verliert dabei etwas von seiner harmlosen Glattheit und gewinnt stattdessen an Tiefe hinzu.
Von solch dynamischem und agogischem Reichtum profitiert schließlich auch Pietschs Vortrag zweier Solosonaten aus Eugène Ysaÿes Six Sonates op. 27. Auch wenn die Wiedergabe der Geigerin hier im Vergleich zu den vorangegangenen Werken etwas konventioneller wirkt: Das ins Extrem geführte Ausloten der unterschiedlichen Stimmungen in den vier Sätzen der Sonate op. 27 Nr. 2 und die ausgesprochen plastische Formung des musikalischen Geschehens in der rhapsodischen Ballade op. 27 Nr. 3 machen dennoch viel Freude.
Stefan Drees