Werke von Erwin Schulhoff, Leo Smit, Hans Gál und anderen

Werke für Flöte und Klavier

Anne-Cathérine Heinzmann (Flöte), Thomas Hoppe (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Audite 97.701
erschienen in: das Orchester 03/2016 , Seite 80

Wäre man doch ahnungslos! Liefe doch da im Kopf nicht eine Flut an Informationen mit, die das Hören und musikalische Denken sogleich in Richtungen zu lenken droht – tut man nicht den Komponisten bisweilen schweres Unrecht an, stigmatisiert man sie nicht in einer zwar gut gemeinten, aber eben nicht guten Weise, konfrontiert man das eigene Rezipieren mit dem angehäuften musikhistorischen und biografischen Wissen?! Oder muss man dieses Wissen sogar zwingend mit einbeziehen?! Besonders komplex erscheint die angedachte Problematik bei Komponisten, deren Schicksal wir als besonders herausgehoben vom Alltäglichen empfinden, insbesondere bei den Musikern, deren Leben durch die brachiale Gewalt der Nationalsozialisten dramatische Wendungen oder gar das gewaltsame Ende erfuhren.
Versuchen wir einmal, ihre Musik als das zu hören, was offensichtlicher nicht sein könnte: als unglaublich gute Kompositionen, die im 20. Jahrhundert stilistisch durch die europäische Musiklandschaft schlendern, hier einen Hauch französisches Parfum erahnen lassen, dort heitere Geschäftigkeit einer Metropole im Frühling, da den sehnsuchtsvollen Atem eines vielleicht sogar verliebten jungen Mannes. Alexandre Tansman, Leo Smit und Erwin Schulhoff ließen sich in den 1920er Jahren deutlich von französischer Musik inspirieren; Günther Raphael und Hans Gál orientierten sich an Barockkompositionstechniken bzw. am Frühklassizismus, wobei Gáls op. 103 als Spätwerk 1974 komponiert wurde und somit eher rückblickend zu verstehen ist. Die drei Erstgenannten eröffnen das beredte Flair, Raphael und Gál die intimere Kommunikation höchst niveauvoller Kammermusik.
Und da stellt sich das zweite Problem: Was schreibt man, wenn die Musik/die Interpretation einfach nur faszinierend schön ist, man bei nahezu jedem Klangeindruck das Gefühl hat: „Ja, genau so muss es sein“?! Freilich hört man Musik zu unterschiedlichen Zeiten auf verschiedene Art und Weise – doch bei der vorliegenden Aufnahme bedarf es keiner Tagesform, um immer wieder zu erkennen, dass die Interpretationen in sich rund und schlüssig sind, das Zusammenspiel von Anne-Cathérine Heinzmann (seit 1999 stellvertretende Soloflötistin am Opern- und Museumsorchester Frankfurt am Main) und Thomas Hoppe (u.a. Pianist im Atos Trio) symbiotischer kaum sein könnte und einfach alles „richtig“ ist. Zutiefst berührt die der Komposition innewohnende Stille in Schulhoffs Sonata im 3. Satz, voller feinsinniger Rhetorik bezaubern Gáls drei Intermezzi, speziell in Nr. 3. Auch darf man immer wieder staunen ob der meisterlichen Beherrschung und virtuosen Handhabung von Flöte und Klavier, die die Komponisten der vorliegenden CD aber nie als Selbstzweck in den Mittelpunkt ihrer Anliegen stellen, deren Versuchung zum möglichen Blendwerk die Interpreten ebenfalls nie erliegen.
So darf man wunderbare Kammermusik entdecken, die gleich in einer exemplarischen Art und Weise den Blick auf die kompositorische Schönheit und Meisterschaft der ausgesuchten Werke lenkt.
Christina Humenberger

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support