Götte, Ulli
Weltsprache Rhythmus
Gestalt und Funktion in der Musik des Abendlandes und außereuropäischer Kulturen
Es ist schon ein Abenteuer, auf das sich Ulli Götte hier eingelassen hat: Nicht in achtzig Tagen um die Welt, aber in 15 Kapiteln durch den Rhythmus der World Musics, meist in rasendem Tempo, aber nicht immer im Metrum. Apropos Bewegung: Dass der Rhythmus in erster Linie ein Bewegungsphänomen ist und dass er nur durch Körperbewegungen realisierbar ist, gerät oft aus dem Blick. Das liegt vielleicht daran, dass der Autor Martin Pfleiderers Rhythmus (Bielefeld 2006) zwar zitiert, aber sich selbst zu keiner klaren Rhythmustheorie durchringen konnte. Auch liegt dem Buch weder CD noch DVD bei, ein fast unverzeihliches Manko im Medienzeitalter und in einer Musikpädagogische Bibliothek. Für die europäische Kunstmusik mag ja die klassische musikwissenschaftliche Darstellung mit Notenbildern angehen. Aber bei schwarzafrikanischer Perkussions-, indischer Kunst-, brasilianischer Popularmusik?
Zu Europa, zu Barock, Wiener Klassik und Romantik und übrigens auch zur Minimal Music zeigt sich der Autor gut informiert und setzt Schwerpunkte. Aber dennoch: Rhythmus bei Mozart anhand von ein paar Takten aus der Jupiter-Symphonie? Ohne auch nur den Hinweis auf die Tanzszene im Don Giovanni oder den Fandango in der Hochzeit des Figaro?
Außerdem klafft eine problematische Lücke in der älteren Musik: Von Machaut und Josquin springt man hoppla-hopp ins Generalbasszeitalter. Da fehlen die zum Klangblock hin zentrierenden Venezianer Andrea und Giovanni Gabrieli; es fehlt Heinrich Schütz, der der Musik den Rhythmus der deutschen Sprache aufgeprägt hat. Vor allem aber fehlt die frühe Instrumentalmusik, die entscheidenden Einfluss auf den Wandel von der Mensura zum Tactus genommen hat. Mit den vielen Intavolierungen für Laute und Tasteninstrument und mit den gehämmerten Tanzsätzen kommen Tactusstrich (später: Taktstrich), vertikale Orientierung, Klanggriffe (später: Akkorde) und damit der Takt, ohne den es keine Wiener Klassik gibt.
Verständlich, dass der Autor im Hinblick auf die afroamerikanische Musik auf den Rhythmus in schwarzafrikanischer Musik nicht verzichten wollte. Aber ist das auf neun Seiten kompetent möglich? Für eine ausführlichere Darstellung hätte man das Unterkapitel Indien opfern können, denn was sagen die abstrakten Zahlen- und Silbenschemata über den unglaublichen Reichtum der Rhythmik, über deren Ausdrucksmöglichkeiten und die virtuosen Tablakünste der hindustanischen und karnatischen Musiktradition aus? Auch bei den Kapiteln über populäre Musik wäre weniger mehr gewesen. Zum Jazz zeigt der Autor Kompetenz und bespricht wichtige Grundfragen wie z.B. die nach den schwarzafrikanischen Einflüssen und der Swingrhythmisierung. Hier lässt sich auch mit Hilfe von Notenbildern vieles veranschaulichen. Das ist bei der brasilianischen und afro-kubanischen Musik und erst recht bei Rock/Pop anders. Um diesen Kapiteln Qualität zu sichern, hätte man auf das Kapitel Europäische Tanzmusik verzichten können, denn hier geht es lediglich um einige Beispiele aus der bretonischen und osteuropäischen Folklore. Immerhin: Das Buch fordert den Leser vielfältig dazu heraus, sich mit Tonträgern zu versorgen und dann intensiv in die Welten rhythmischen Geschehens einzutauchen. Rhythm is it!
Michael Kugler