Roland Dippel
WEIMAR: Kantiger Belcanto-Edelstoff
Vincenzo Bellinis "I Capuleti e i Montecchi" am Deutschen Nationaltheater Weimar
Regelmäßig spielt das Deutsche Nationaltheater Weimar Opernadaptionen (frei) nach den Klassikern Shakespeare, Goethe, Schiller. Belcanto-Werke wie Rossinis Otello vor über 15 Jahren sind nur selten darunter. Nun also I Capuleti e i Montecchi – Romeo und Julia von Vincenzo Bellini. Die sprichwörtlich betörenden Kantilenen traten in dieser schroff-schartigen Neuproduktion fast immer zurück. Das Regie-Tandem Jossi Wieler und Sergio Morabito versetzte die 1830 in Venedig uraufgeführte Oper aus dem mittelalterlichen Verona in ein durch militaristischen Vandalismus ausgemergeltes Gegenwartsambiente. Die Fassade des italienischen Renaissance-Palazzo steht (Bühne: Anna Viebrock, Anna Scheffel-Brotánková), aber dessen Inneres ist trostlos entkernt. Vom Bürgerkrieg gezeichnete Opfer (Kostüme: Dorothee Curio) durchirren düstere Trümmerflächen. Das berühmte Liebespaar singt einen Teil seines Sterbeduetts für das Publikum unsichtbar aus der Totengruft. Dass es um erotische Leidenschaft und Lebensgier auf Messers Schneide geht, brennt aus fast jedem Takt. Aber lyrisch ausgekostete Momente sind selten und erklingen nur dann, wenn die Partitur nichts anderes erlaubt.
Lesen Sie weiter in Ausgabe 10/2023.