Stephan Mösch (Hg.)

„Weil jede Note zählt“. Mozart interpretieren

Gespräche und Essays

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter/Metzler, Kassel/Berlin 2020
erschienen in: das Orchester 09/2021 , Seite 73

Nikolaus Harnoncourt traf, wie so oft, den Nagel auf den Kopf, als er 2006 zur Eröffnung der Festivitäten zum 250. Geburtstag des Komponisten in Salzburg konstatierte: „Mozart braucht unsere Ehrungen nicht – wir brauchen ihn und seinen aufwühlenden Sturmwind.“ Und über die Musik sagte er damals: „Wir haben Rechenschaft darüber abzulegen, was wir mit ihr gemacht haben und immer noch machen.“
Bekanntlich war er 1969 aus seiner Festanstellung bei den Wiener Philharmonikern ausgeschert, weil der Dirigent Karl Böhm vor Beginn der großen g-Moll-Sinfonie „gelächelt“ habe. „Gelächelt! Bei dieser Todesmusik!“ Diese Anekdote hat der Protagonist der historischen Aufführungspraxis noch kurz vor seinem Tod 2016 gern erzählt. Sie war sein Motor, gerade auch in Fragen der Mozart-Interpretation.
Das Mozartfest Würzburg, das in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag feiert, nimmt dieses Jubiläum zum Anlass für einen Essayband, der Texte von Autoren und Gespräche mit Musikern versammelt, die zum Salzburger Musikus ein besonderes Verhältnis haben. Mozart interpretieren heißt der nun erschienene Band, und er stößt naturgemäß mehr Fragen an, als er beantwortet.
So reflektiert Ulrich Konrad, Ordinarius am Institut für Musikforschung Würzburg, über „Text und Musik, Komposition und Klang“ und setzt dabei ausgezierte Stimmen den Druckfassungen gegenüber. Er formuliert schließlich die Herausforderung an den heutigen Interpreten: „Wie kommen wir über den Weg der Notentexte zum Erlebnis der klingenden Musik Mozarts, zur ästhetischen Erfahrung, die uns erfüllt und existenziell berührt?“
Die Frage steht im Raum, und jede der drei Autorinnen und dreizehn Autoren umkreist sie: der Herausgeber Stephan Mösch anhand der Aufführungstradition der Bühnenwerke, Thomas Seedorf mit einer Entwicklungskette der Mozart-Dirigenten von Richard Strauss bis zu Teodor Currentzis, Wolfgang Rathert mit Mozart-Adaptionen oder -Kommentaren von Komponisten des 20. Jahrhunderts und schließlich der Violinist Robert D. Levin mit akribischen Deutungen der Notentexte. Levin mahnt schließlich „die fundamentale Einheit zwischen seiner [Mozarts] Musik für die Bühne und seinen Instrumentalwerken“ an, und das ist ein wirklich bedeutender Hinweis.
Im zweiten Teil der Publikation schildern Alfred Brendel, Brigitte Fassbaender, John Eliot Gardiner, Christian Gerhaher, Hartmut Haenchen, Markus Hinterhäuser, René Jacobs, Frank Peter Zimmermann und Tabea Zimmermann ihre Erfahrungen, ihre Probleme und ihr Glück mit Mozarts Musik. Zwei weitere Beiträge von Christian Lemmerich und Renate Ulm speziell zur Geschichte des Würzburger Mozartfests sowie eine Chronik beschließen den lesenswerten Band.
Matthias Roth