Werke von Schein, Zangius, Praetorius u. a.

Weihnachtsgeschichte / Angelus ad Pastores

Chor des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Howard Arman

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 04/2024 , Seite 74

CD eingelegt, „Play“ gedrückt und los geht’s: „Und Maria nahm einen Krug und ging hinaus …“. Tobias Hirtreiter singt unbegleitet, im Stile eines jüdischen Kantors, bevor auf einer Drehleier (Béla Szerényi jr.) der Grundton G erklingt, über dem zusammen mit improvisierten Fiorituren sich nun alles Weitere abspielt. Eine seltsame Erzählung der Weihnachtsgeschichte mit aufgeregten, ja turbulenten Auftritten der Mutter Maria, mehreren Engeln, später dem Ehemann Joseph in doppelter Ausfertigung, den Magiern, sogar einer Hebamme. Alle Rollen gesungen von Mitgliedern des Chors des Bayerischen Rundfunks, der seinerseits den Vortrag mit ein- und mehrstimmigen Gesängen gliedert. Zunächst Veni redemptor gentium, der lateinische Adventsgesang, aus dem Martin Luther sein Nun komm, der Heiden Heiland gewann, einstimmig und im Satz von Johann Hermann Schein. Später treten Motetten über den Text Angelus ad pastores ait aus dem Lukas-Evangelium (Kap. 2, 10–11) von Nikolaus Zangius, Hieronymus Praetorius, Hans Leo Hassler und Melchior Vulpius hinzu. Himmlische Verheißung also, während Jesus auf der Flucht in einer Höhle geboren wird, die Magier aufgeregt plappernd anreisen und Herodes in Bethlehem die Kinder ermorden lässt.
Das erste Verdienst dieser schlichten, von Howard Arman zusammengestellten und arrangierten Musik ist, Ruhe in die stille Adventszeit zu bringen. Ja, Bachs trompeten- und paukenbewehrtes Oratorium, die weihnachtliche Chiffre der Event-Gesellschaft gehört hier eigentlich nicht hin! Schließlich wartet die Menschheit auf Erlösung und den Frieden und hat noch keinen Grund, ihn zu feiern.
Vor allem aber weitet das Stück unseren Blick auf die christliche Überlieferung. Sie erschöpft sich keineswegs in den vier aus der Bibel bekannten Evangelien, sondern hält, wenn auch in den sogenannten „apokryphen“, nicht kanonisierten Evangelien, zahlreiche Versionen und Anekdoten über das Leben Jesu bereit. Insbesondere die von Lukas weitgehend, wenn auch literarisch geschickt „erfundene“ Geschichte der Geburt Jesu beleuchtet das nur wenig jüngere sogenannte „Protevangelium“ des Jakobus um weitere Aspekte; insbesondere verleiht es den Eltern Jesu Stimme und stellt bohrende Fragen nach ihrer familiären Situation.
Eine kurzweilige, hier und da von Altertümliches imaginierenden Instrumenten beleuchtete Meditation von 42 Minuten Länge über eine etwas andere Geschichte der Geburt Jesu.
Die letzten achteinhalb Minuten der CD gehören vier unter dem Titel O Magnum Mysterium versammelte Motetten von Peter Maxwell Davies. „Easy listening“ ist das nicht, jedoch klanglich perfekt ausgehört, dynamisch breit, die kantigen Rhythmen präzise, wie man es von einem professionellen Rundfunkchor erwartet. Text und Übersetzung sollten allerdings standardmäßig zum Lese-Angebot eines Booklets gehören.
Andreas Bomba