Heiko Cullmann/Michael Heinemann (Hg.)
„… was verloren ging“
Operettenkultur nach 1933. Beiträge einer Tagung der Staatsoperette Dresden
Ihre Widerborstigkeit konnten die Nationalsozialisten der Operette nicht austreiben, aber sie kappten ihre wesentlichen Wurzeln. Als sie systematisch jüdische Komponisten und Librettisten von der Bühne vertrieben, zeigte sich, „was verloren ging“. So der Titel eines Buchs, das Beiträge einer Tagung der Staatsoperette Dresden zur „Operettenkultur nach 1933“ versammelt.
In ihrem Vorwort schaffen es die beiden Herausgeber, das Prägnante und Wesentliche dieses Umbruchs darzustellen. Die „Gleichschaltung“ habe nicht das Ende aller Pluralität bedeutet, aber große Auswirkungen auf Kunst und Alltag der von den „Rassegesetzen“ Betroffenen gehabt. Diese werden im Folgenden dargestellt, hinausgehend über das, was man in Operette unterm Hakenkreuz (ebenfalls von der Staatsoperette Dresden) bereits lesen konnte.
Unter dem schönen Titel „Knoblesse oblige“ schildert Stefan Frey, wie die Operette sinnentleerte Konventionen unterlief und tradiertes Bildungsgut in den „Fundus höheren Blödsinns“ einstellte. Am Beispiel von Leo Falls Die spanische Nachtigall zeigt er, wie dieser US-amerikanischen Jazz aufgriff und parodierte. Der Überfall auf die Gebrüder Rotter 1933, den Peter Kamber ausführlichst darstellt, ist eher ein Nebenthema. Auch Christoph Schwandt kommt in seinem Aufsatz zur letzten Operette der Weimarer Republik, Jaromír Weinbergers Frühlingsstürme, nicht auf den Punkt. Zudem schreibt er verharmlosend von der „Machtübergabe“ an die Diktatoren. Wichtig sind die Schilderungen, wie der Heimweg nach der 29. Vorstellung am brennenden Reichstag vorbeiführte, und von Richard Taubers Ergebenheitsadresse an die Nationalsozialisten, was Thomas Seedorf in seinem Artikel aufgreift. „Ich singe überhaupt keine Operetten, ich singe nur Léhar“, zitiert er den Sänger.
„Der höchst originell verruchte jazzige Duktus machte Ábrahám um 1930 einzigartig und avantgardistisch“, schreibt Karin Meesmann über den Komponisten Pál Ábrahám und vergleicht authentischen Jazz und deutsche Tanzorchester sowie Live- und Konservenmusik. Giselher Schubert schafft es, wie viele Autoren, am Beispiel von Kurt Weills Der Kuhhandel, das Besondere dieser Musik fast hörbar zu machen – ein großes Plus des Bandes.
Der grundlegende Beitrag kommt am Schluss, Boris Kehrmanns „Startheater ohne Stars“. Am Beispiel Eduard Rogatis zeigt er, wie Nostalgie, Heimatseligkeit, alte Frauenbilder und „kalkulierte Unschärfe“ wieder Einzug hielten, Erich Wolfgang Korngold „Klon-Operetten“ schrieb. Man hält die Luft an, liest man, dass kurz nach dem Überfall auf Polen der Bettelstudent „entpolonisiert“ wurde, die Schlager des im KZ ermordeten Friedrich Löhner-Beda gesungen und gesendet, jüdische Texte instrumental unterschlagen wurden. Am Ende regt er an, doch lieber zu fragen, „,was verloren ging‘, als Provinzregisseure und ‑ästhetik den Ton angaben“. Beachtlich. Es wäre schön, wenn diese wichtige Reihe unter der neuen Intendantin fortgesetzt würde.
Ute Grundmann