Eleonore Büning

Warum geht der Dirigent so oft zum Friseur?

Antworten auf die großen und kleinen Fragen der Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Benevento
erschienen in: das Orchester 04/2021 , Seite 58

„…und jeder Mann, wirklich ein jeder, auch jeder Dirigent, trägt seine Achillesferse am Hinterkopf, dort, wo es kahl wird. Bei fast allen. Bei dem einen früher, bei dem anderen später. Das ist das Dirigententrauma: der Hinterkopf. Deshalb braucht jeder Dirigent einen guten Friseur.“ Da wird die Kritikerin zur Plaudertasche, mal mehr, mal weniger.
Immer aber, das sei hier schon gesagt, sind diese 58 Drei-Seiten-Texte lustvoll-virtuose Plaudereien, auch wenn es wie im oben Angesprochenen nur um Nichtigkeiten geht. Ging Eleonore Bünings 2018 erschienenes Buch Sprechen wir über Beethoven auf Rundfunksendungen zurück, hat die Autorin hier ihre zwischen 2015 und 2020 in der Sonntagsausgabe der FAZ unter der Überschrift „Fragen Sie Eleonore Büning“ erschienene Kolumnen versammelt.
Die „großen und kleinen Fragen“ stammen von Konzertgängern, aus Pausengesprächen, von Musikern in Probenpausen, von Freunden und Kollegen. Und sie haben alle einen Tonfall, der den Tonfall der Antwort gleichsam provoziert. Und was Büning zu den kleinen Fragen, denen nach Figaro-Künsten oder den Privatjet-Vorlieben von Karajan und Co, aber auch zu den großen nach Zauberflöten-Rassismus oder Schuberts „Nebensonnen“ zu sagen hat, ist von überlegen lächelnder Virtuosität, verbindet Fachkenntnis mit Plaudertaschen-Brillanz, neigt gerne auch zum verspielten Abschweifen. Es ist die Kunst der kleinen Form, die man am wirksamsten genießt, wenn man nicht mehr als jeweils einen oder zwei Texte zusammenhängend liest.
Dann ist es ein pures Vergnügen zu erleben, wie die Autorin auf die Frage „Sollte man im Regen singen“, gedankenreich und elegant von Gene Kellys Singin’ in the rain zu Hanns Eislers Vierzehn Arten, den Regen zu besingen gelangt. „Was ist ein Meisterwerk?“, hat jemand gefragt und bekommt – ein genial triftiger Einfall – erst einmal zwei Seiten von Meister-werken zwischen Abbas The Winner Takes It All und Stockhausens Gruppen vorgesetzt, eine Auswahl ohne „Anspruch auf Vollständigkeit“ und „streng subjektiv“. „Ein paar Messlatten“ gibt es obendrein. Und, Gertrude Stein zitierend, musikästhetische Gedanken leichter Hand: „Ein Meisterwerk ist ein Meisterwerk, ist ein Meisterwerk. Basta.“ Boshaft kann Eleonore Büning auch sein: „Sie haben nichts anderes gelernt. Sie können nur Festspiele leiten oder unglücklich sein“, beantwortet sie die Frage, warum ein Wagner die Wagnerfestspiele leiten muss. Dass auch ein Mahler-Scherzo boshaft sein kann, erfährt der Leser in einem ergiebigen, geistreich-witzigen Streifzug durch die Musikgeschichte zur Frage, was so komisch an einem Scherzo sei.
Man hat auf die Frage nach „dummer Musik“ eine Antwort erhalten, hat erfahren, dass Musikkritiker dumm sind. Nach 58 klugen Fragen und 58 klugen Antworten, ist man selbst nach der amüsanten Lektüre dieses Buchs mit Sicherheit ein Stück klüger geworden. Das so umfangreiche Personenregister ist auf seine Art trefflicher Beleg für den Inhaltsreichtum des Buchs.
Günter Matysiak