Friedrich Wilhelm Kücken

Waldleben

Konzertouvertüre für großes Orchester op. 79, hg. von Reinhard Wulfhorst, Dirigierpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Edition Massonneau
erschienen in: das Orchester 06/2018 , Seite 62

„Liebes Kücken! Ich lege Ihnen hier einige Eier unter, gackeln Sie nicht zu lange darauf.“ Heinrich Heine übersandte zusammen mit diesen humorigen Zeilen einige Gedichte an den Adressaten, den Komponisten und Dirigenten Friedrich Wilhelm Kücken. Dessen Hausname ließ sich der scharfzüngige Dichter für ein launiges Wortspiel nicht entgehen, doch war letztlich der gute Ruf von Kücken für das Angebot ausschlaggebend.
1810 in Bleckede bei Lüneburg geboren, hatte er zunächst in Berlin, wo er Komposition und Gesang stu­dierte, erste Erfolge als Liederkomponist erzielt, später dann in Wien, wo er beim Kontrapunktpapst Simon Sechter in die Lehre ging. Eine seiner bekanntesten Melodien – “Ach wie ist’s möglich dann” – ist ein echter Ohrwurm, der schon bald manchem als altes deutsches Volkslied galt. Mit diesem Liedchen soll er die Aufmerksamkeit des Großherzogs Paul Friedrich in Schwerin erregt haben, der ihn als Klavierlehrer anstell­te. Freimütig gab Kücken später zu, dass er „besonders Rücksicht neh­me, für das große Publikum“, sprich: leicht und eingängig „zu schreiben“.
Mit dieser Grundhaltung komponierte er für Klavier, Kammermusikensembles und Orchester. Reüssieren konnte er zudem mit einigen Opern, darunter “Der Prätendent”, die 1847 in Stuttgart uraufgeführt wurde. Die württembergische Residenzstadt wurde eine wichtige Station in Kückens Laufbahn: Hier am­tierte er von 1851 bis 1861 als Kapellmeister, kehrte aber später nach Schwerin zurück. In Stuttgart erklang 1864 auch erstmals Kückens Ouvertüre “Waldweben” für großes Orchester. Bis zu Wagners gleichnamiger und ungleich berühmterer Szene aus dem Zweiten Aufzug des “Siegfried” sollte es da noch zwölf Jahre dauern. Als Vorläufer lässt sich Kückens Werk aber nicht bezeichnen. Weder geht es um die Befindlichkeiten eines Helden noch um Abgründiges oder Schauerliches, das die deutschen Romantiker gern in unheimlichen Schluchten oder zwischen efeuumrankten Bäumen ansiedelten.
Kücken, so schreibt Reinhard Wulfhorst im Vorwort der Neuausgabe, „konzentriert sich auf die dies­seitigen Bewohner und Nutzer des Waldes. Von der erwachenden Natur eines frühen Morgens über wildes Jagdgetümmel bis zur Illusion eines Picknicks“ reicht das Spektrum der Bilder, die Kücken im Kopf des Zuhörers anzuregen vermag, Kuckucksrufe inklusive. Das Orchester ist klassisch besetzt, der Blechbläserapparat ist dem Sujet gemäß auf vier Hörner nebst Tuba aufgestockt. Den „frühen Morgen“ lässt Kücken in tiefen Streichern aufgehen, in die ein „entfernt“ klingendes Horn hineintönt. Es folgt ein turbulenter, in Dur blitzender „Aufbruch zur Jagd“, später ein „Lied im Walde“ über pultweise geteilten Violinen. Zeitgenossen rühmten die „brilliante Inst-rumentierung“ und den „romantischen Zauber ohnegleichen“.
Anlässlich des 425-jährigen Bestehens des Staatsorchesters Stuttgart im Jahr 2017 erlebte das effektvolle Werk eine Wiederaufführung. Der in Schwerin ansässige Verlag Massonneau, spezialisiert auf Werke der mecklenburgischen Musikgeschichte, hat eigens dafür die sorgfältige Edition besorgt.
Mathias Nofze