Seither, Charlotte
Waiting for T
für Trompete, Posaune, Schlagzeug und Violoncello
Sie ist nicht nur eine Künstlerbeherbergungsstätte, die hoch über Stuttgart thronende Akademie Schloss Solitude, sondern auch eine sehr aktive Netzwerkerin und Ideenstifterin für ihre Stipendiaten. Als die Akademie im Jahr 2010 das zwanzigste Jahr ihres Bestehens feierte, bat sie ihre ehemaligen und aktuellen Musiker um ein kurzes Werk für das vor Ort
beheimatete Ensemble Ascolta. Als Spielregel wurde festgelegt, dass jede Komposition mit dem Tristan-Akkord beginnt und endet, um bei der gemeinsamen Uraufführung aller Werke die Trennung zwischen den einzelnen Kompositionen für den Zuhörer erkennbar zu machen.
Eines der mehr als fünfzig bei diesem Projekt enstandenen Werke ist Waiting for T der in Berlin lebenden, vielseitigen und mehrfach preisgekrönten Komponistin Charlotte Seither für ein Quartett, bestehend aus Trompete, Posaune, Schlagzeug und Violoncello. Mit den ersten Takten des Violoncellos, die den langsam schmachtenden Beginn der Einleitung von Tristan und Isolde zitieren, stellt Charlotte Seither den gewünschten Bezug zum Tristan zwar her, der Akkord als solcher bleibt aber aus; es kommt zum “Warten auf T”.
Weitgehend unabhängig vom Ausgangsprojekt erklingt eine langsam schwebende Musik von großer Transparenz mit sicht- und hörbarem Vergnügen an den klanglichen Verschmelzungen der vier Instrumente. Ein eingestrichenes E vom Violoncello wird von einem geriebenen Wasserglas verlängert, die Posaune stimmt unisono-verschmelzend ein, bevor die Trompete für eine erste Dissonanz sorgt. Angereichert mit wohlkalkulierten Effekten der Bläser (Singen in das Instrument, Luftstöße) und verschiedenen Cello-Flageoletts entspannt sich im weiteren Verlauf ein durch leichte perkussive Akzente strukturierter musikalischer Faden von großer Klarheit, der genau so unaufdringlich endet, wie er über die Länge von ungefähr neun Minuten tönt.
Der Bärenreiter-Verlag legt mit der nur wenige großformatige Handschriftenseiten umfassenden Komposition von Charlotte Seither ein Werk vor, das sich sehr gut in unterschiedlichste Programme von Konzerten mit gemischter Kammermusik integrieren lässt. Die Herausforderung für die Spieler liegt dabei eindeutig nicht im technisch-virtuosen Bereich, sondern darin, dass sie mit ausgeprägtem Klangsinn im Pianissimo-Bereich aus den so unterschiedlichen Instrumenten eine Ensemble-Einheit formen müssen. Nur so kann es gelingen, diese höchst sympathische Musik, die in ihrer selbst verordneten Zurückhaltung gleichzeitig luftig und tiefgründig ist, über offene Ohren direkt ins Herz der Zuhörer zu versenken.
Stephan Froleyks