Kiesel, Markus / Joachim Mildner (Hg.)

Wahnfried

Das Haus von Richard Wagner

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: ConBrio, Regensburg 2016
erschienen in: das Orchester 01/2017 , Seite 57

Möge er Frieden finden! Spätestens jetzt, nach der glanzvollen Neueröffnung seines Hauses. Die Rede ist von Richard Wagner und seiner Bayreuther Villa, in der er seit 1874 mit Großfamilie, Personal und Hunden Hof hielt. „Reines Glück und ungetrübte Schaffensfreude“ wünschte ihm zum Einzug sein generöser Landesherr, König Ludwig II. von Bayern. Wagner selbst, lebenslang hin und her gerissen zwischen manischem Wandern und dem Drang zur Sesshaftigkeit, ließ an der Fassade Schrifttafeln anbringen, auf denen sein Sinnspruch zu lesen ist: „Hier wo mein Wähnen Frieden fand – Wahnfried – sei dies Haus von mir genannt.“
Künstlervillen dieses Zuschnitts waren damals eine Novität. Der Gei­ger Joseph Joachim hatte sich 1870 in Berlin ein herrschaftliches Haus bauen lassen, 1872 folgte der Historienmaler Hans Makart in Wien, Franz von Lenbachs Münchner Villa entstand wenig später. Gemeinsam war all diesen Bauten der Wunsch nach Repräsentation eines neu gewonnenen sozialen Status, wie ihn Künstler eine Generation zuvor allenfalls ersehnen konnten. Andrea Palladios toskanische Villen des 16. Jahrhunderts dienten den Wahnfried-Architekten zum Vorbild.
Doch welch bewegte Geschichte stand dem Wagner’schen Domizil noch bevor: Nach Richards Tod herrschte Cosima mit äußerster Strenge über Haus und Festspiele. Später trat Schwiegertochter Winifred in ihre Fußstapfen, sie empfing Adolf Hitler dort, wo die Götterdämmerung vollendet und der Parsifal komponiert wurden. Amerikanische Bomber legten Teile des Hauses in Schutt und Asche. Im notdürftig errichteten Neubau lebte Wagner-Enkel Wieland bis zu seinem Tod 1966. Er ließ eine Mauer errichten zwischen Wahnfried und dem benachbarten Siegfried-Wagner-Haus, in dem seit 1957 wiederum Winifred wohnte. Hier – im „Führerbau“, wie Winifred ihr Domizil bis zu ihrem Tod 1980 nannte – gingen in der jungen Bundesrepub­lik Alt-Nazis aus und ein.
Dies und vieles mehr erfahren wir aus der Lektüre und reichenBilderwelt des vorliegenden Buchs. Nach fünfjähriger Schließung, Generalsanierung und Errichtung eines Erweiterungsbaus wurde das seit 1976 in der Villa Wahnfried beheimatete Richard-WagnerMuseum 2015 wiedereröffnet. Im zentralen Text des aus diesem Anlass erschienenen, äußerst lesenswerten Bandes zeichnet Verena Naegele, renommierte Wagner-Expertin
und Ausstellungskuratorin, die Geschichte des Hauses nach. Außerdem bietet das Buch einen Essay des Kunsthistorikers Dietmar Schuth über die äußere Gestalt des Hauses, ein Interview mit dem für die Wahnfried-Renovierung zuständigen Architekten Volker Staab, weitere Texte zur Neugestaltung des Museums, zur Erinnerungskultur generell und, nicht zuletzt, ein launig-intelligentes Geleitwort der Wagner-Urenkelin Nike, in dem sie vorschlägt, sie und ihre Geschwister könnten doch zu Ausstellungsstücken des Museums mutieren: tagsüber in Vitrinen ausgestellt, nachts frei herumgeisternd – eine wunderbare Idee, ein wunderbares Buch!
Gerhard Anders