Andreas Jacob

Wagner

Populäre Irrtümer und andere Wahrheiten

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Klartext
erschienen in: das Orchester 10/22 , Seite 61

Ein Autor, der bereits ein Buch namens Beethoven für Klugscheißer geschrieben hat, bei einem Verlag, der Bücher mit ähnlicher Stoßrichtung über den Trabi, über Haselnüsse für Aschenbrödel, Heinrich Heine, Insekten, die Royals, Katzen oder Bergbau im Sortiment hat, ausgerechnet dieser Autor soll mit Korrekturen und Wahrheiten in Sachen Wager aufwarten? Skepsis ist angebracht. Die Lektüre bestätigt sie. Angesichts der überwältigenden Fülle an Wagnerliteratur fragt man sich, an wen sich dieses Buch ­eigentlich richtet, denn alles, was ­darin thematisiert wird, erfuhr man längst in anderen Publikationen, und dort weitaus präziser.
Jacob befleißigt sich der Kunst des Weglassens und der groben Vereinfachung sowie der ranschmeißerischen Sprache der Boulevardpresse. Das Buch deckt mitnichten Irrtümer auf, es zementiert eher Banalitäten und Plattheiten, längst bekannte Tatsachen und belanglose „Wahrheiten“. Oder ist es etwa von Belang, zu wissen, dass Joey DeMaio (Gründer der True-Metal-Band Manowar) Wagner als „Erfinder des Heavy Metal“ bezeichnet? Muss man wissen, dass die Augsburger Puppenkiste Wagneraufführungen produzierte? Ist Wagners (bekannte) Hundeleidenschaft so bedeutsam, dass sie noch einmal in einem eigenen Kapitel breit behandelt werden muss? 721 Richard-Wagner-Plätze und -Straßen gebe es, zudem Wagner-Shirts, -Socken, -Tassen und -Whisky. Muss man das wissen?
Undifferenziert und geradezu verharmlosend sind die Äußerungen des Autors zum politischen Wagner, seinen Antisemitismus und über die Nazis. Das offenbart Schwarzweißdenken pur. Über die drei Ehemänner der von Wagner zunächst bewunderten, später abgelehnten Sängerdarstellerin Wilhelmine Schröder-Devrient erfährt man mehr als über Wagners ambivalentes Verhältnis zu ihr. Die Texte über den Anarchisten Michail Bakunin und König Ludwig II. von Bayern (den wichtigsten Mäzen Wagners, dem Wagner allerdings „einen Sparren im Kopf“ attestierte) greifen entschieden zu kurz. Auch die Informationen über Franz Liszt als „der Schwiegervater“ Wagners sind völlig unzureichend und thematisieren nur diese eine Seite von Liszt.
Besserwisserisch, aber einfältig sind die Texte über Wagners „Leitmotiv“ und über die richtige Aussprache Wagner’scher Worte. Auch die Auslassungen über das Schaulaufen der VIPs bei den Bayreuther Festspielen, die „Promi-Parade“, sind alles andere als originell. Ein angefügtes Wagner-Quiz und eingestreute Wagnerzitate sind überflüssig. Die plakativen Werkbeschreibungen sind simpel, die Bebilderung populistisch.
Vollends fragwürdig ist die Erörterung über Wagner und die Homosexuellen im Kapitel „Wagner statt Streisand“, wo der Sängerin unterstellt wird, „die Bayreuther Festspiele […] wie die ganze Wagnerbewegung […] als latent bis offen homosexuell geprägt“ zu empfinden. Andreas Jacob plädiert daher für Wagner als queere Musikvorliebe der Schwulen. Ein ärgerliches und banales Buch, das niemand braucht.
Dieter David Scholz