Moshe Zuckermann

Wagner, ein ewig deutsches Ärgernis

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Westend
erschienen in: das Orchester 12/2020 , Seite 61

Das Thema „Ärgernis Wagner“ kann sich seiner Leser sicher sein. Zuckermanns Buch hat nach nur wenigen Wochen bereits eine Fülle von mehrheitlich kritischen Besprechungen erfahren, die man im Internet nachlesen kann.
Tatsächlich schreit vieles in diesem Buch nach einem Verriss; dennoch liest es der kritisch Interessierte durchaus mit Gewinn, gerade weil sich der Autor – durch Zuspitzung, durch eine im Ganzen inkohärente Darstellung, teils auch durch selektiven Zugriff auf die Fakten – angreifbar macht, was den Leser dazu zwingt, seine eigene Ansicht zu Wagner und seiner unseligen Wirkungsgeschichte neu und kritisch zu hinterfragen.
Oder ganz allgemein gesagt: Wenn sich ein intelligenter, gebildeter Mensch mit einer klaren Meinung zu Richard Wagner äußert, ist das eigentlich immer interessant. Dem Neueinsteiger in diese Thematik allerdings kann das Buch nicht empfohlen werden – darüber dürfte Einigkeit zu erzielen sein.
Zuckermann – emeritierter Professor für Philosophie und Geschichte an der Universität Tel Aviv – schreibt in acht nur lose aufeinander bezogenen Essays über Wagners Persönlichkeit und dessen Antisemitismus (im Kontext der deutschen Geschichte, vor allem nach der Reichsgründung). Er bestreitet mit Nachdruck Spuren dieses Antisemitismus in Wagners Werk, stellt mehr allgemeine Überlegungen zur problematischen Zusammenschau von Werk und Person an (die über Wagner weit hinausgehen und unbedingt lesenswert sind), beleuchtet die Wagner- und Heine-Rezeption in Deutschland. Er skizziert, wie Nietzsche und Thomas Mann sich am Thema Wagner abgearbeitet haben und endet mit kritischen Äußerungen zum Wagner-Verbot in Israel.
Vieles von dem, was man hier lesen kann, ist nicht neu. Die Debatte um Wagner, um seine Nachlassverwalter und die deutsche Geschichte wird spätestens seit Mitte der 1970er Jahre vehement geführt. Angesichts der aktuellen Entwicklungen – man denke an Barrie Koskys Bayreuther Meistersinger-Inszenierung – ist Zuckermanns Buch so etwas wie ein Rollback. Seine Interpretation der Judentum-Schrift ist eine unter mehreren möglichen, aber eben nach wie vor eine mögliche.
Wichtiger als der Streit um die Deutungshoheit im Detail ist die kritische, das Verstehen suchende Gesamtsicht auf ein Künstlerleben: Wagner war weniger Revolutionär und schon gar kein „angepasster Königstreuer“ (wie man im Klappentext lesen kann), sondern immer und zu allererst Propagandist in eigener Sache. Alle Verirrungen und Anstößigkeiten in Wagners Künstlerleben sind vor diesem Hintergrund zu sehen, und sein Antisemitismus basiert wesentlich auf primitiven, privaten Revanchegelüsten.
Diese so einfache Erklärung könnte dem Phänomen Wagner viel von seinem Ärgernis nehmen, und es gäbe auf allen Seiten weniger Grund, sich aufzuregen. Zuckermanns Buch regt also zum Nachdenken und zum Widerspruch an – ganz so, wie es sein soll.
Ulrich Bartels