Werke von Oli Bott, Astor Piazzolla, Alberto Ginastera und anderen
Voyage à Buenos Aires
Vibratanghissimo: Juan Lucas Aisemberg (Viola), Oli Bott (Vibrafon), Tuyêt Pham (Klavier), Arnulf Ballhorn (Kontrabass, Elektrobass), César Nigro (Gitarre)
Sie brauchen kein Bandoneon. Das mag im Zusammenhang mit Tango Nuevo zunächst überraschend erscheinen, doch beim Zuhören wird schnell gewiss: Die Besetzung von Vibratanghissimo mit Viola, Vibrafon, Klavier und Bass wird dem ganzen Universum dieser Musikrichtung und verwandter Spielarten mehr als gerecht.
Der Superlativ im Namen des Ensembles ist in keiner Weise übertrieben, denn Vibratanghissimo treibt alles erfreulich auf die Spitze: die Sichtweise von Piazzolla, Ginastera und Kollegen, die individuelle Virtuosität jedes einzelnen Ensemblemitglieds, die Neukompositionen, die noch einmal die Perspektive erweitern, und nicht zuletzt die Qualität des Zusammenspiels.
Das wird schon offensichtlich im Eingangsstück der CD Voyage à Buenos Aires, La Obertura betitelt und von Vibrafonist Oli Bott komponiert: Das ist Tango Nuevo und viel mehr in seiner höchsten Kunstform, mit überraschenden Wendungen, kristallklaren Klavierrhythmen und romantisch-kantablen Piano-Passagen, klagender Bratsche und akzentuierten bis verspielten Vibrafon-Statements wie Tempo- und Stimmungswechsel einfach ein Kosmos an erdenklichen genreadäquaten und -übergreifenden Möglichkeiten, der sich in gut sechseinhalb Minuten zeichnen lässt und dem Ensemble eine aussagekräftige Visitenkarte seines musikalischen
Ansatzes ist.
Die CD reflektiert ein Programm, das das Ensemble mit großem Erfolg in Argentinien in diversen Konzertsälen präsentiert hat, auch wenn es erst anschließend in der Kunstfabrik Schlot Berlin aufgenommen wurde. Die Musiker haben sich die Inspiration durch das südamerikanische Land spürbar erhalten. Juan Lucas Aisemberg, der bei Vibratanghissimo die Bratsche spielt, hat dem Quartett die Stücke auf den Leib arrangiert. Zum Beispiel Zamba und Triste von Ginastera, eigentlich Lieder für Singstimme und Klavier aus einem fünfteiligen Zyklus. Da übernimmt die Viola einen Teil des Gesangs und ist dabei so beredt, dass man keinen Text vermisst. La Equivoca von Ariel Ramirez beginnt wie eine Saiten-Caprice. Erst das markante Kontrabass-Ostinato, ergänzt von Klavier und Vibrafon, bringt es in ein rhythmisches Etwas, das man zunächst nicht Struktur nennen möchte, bis sich dann doch ein Kontinuum entwickelt, das das Gefüge eine ganze Weile trägt.
Ein echtes Dokument jener Konzertreise: der einzige Live-Mitschnitt aus dem Teatro de la Media Legua in Buenos Aires, wozu sich der argentinische Gitarrist César Nigro gesellt hat: Im Concierto para quinteto von
Piazzolla liefert Nigro Saitenspiel-Virtuosität in höchstem Maße, die Viola steuert feine gestrichene Klangmodulationen dazu.
Als Tango mit Klezmer-Einflüssen stellt sich Milonga obscura von Oli Bott vor. Später vereinen sich die Instrumente zu einem verdichteten Piano, bei dem nur angedeutet wird und doch nichts im Schemenhaften bleibt. Beim Schlussstück schließlich, das Oli Bott Danza tempestosa getauft hat, möchte man tanzen und sich drehen, so schnell es geht. Die Verführung ist perfekt ohne Bandoneon.
Sabine Kreter