Vasks, Peteris

Vox amoris

Works for Violin and String Orchestra

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 6750 2
erschienen in: das Orchester 09/2012 , Seite 78

Man nennt ihn gern einen „Prediger in Tönen“: Peteris Vasks, Jahrgang 1946, führender Komponist aus Lettland. Seine musikalische Sprache gleicht in der Tat oft einem innigen, vielleicht auch leiddurchtränktem Ge­bet. Als Sohn eines Baptistenpfarrers liegt dieser Vergleich nahe, denn Vasks schöpft aus der Volksmusik, den Gesängen seiner baltischen Heimat ebenso wie er ein religiöses Element einbezieht. Dies alles gilt in besonderem Maße bei diesen drei Stücken für Violine und Streichorchester: Vox amoris (2008/09), Tala gaisma (1996/97) – ein Violinkonzert mit Erinnerungsbildern an und für seinen Kinder- und Jugendfreund Gidon Kremer, der auch die Uraufführung bestritt – und Vientulais engelis (1999/2006), als „Meditation“ für Violine/Streichorchester bezeichnet. Wenn sie auch im Gefühlspanorama durchaus unterschiedliche Akzente aufweisen – die Sehnsucht des Letten nach Harmonie, nach Intimität, nach Hoffen auf Friede und Trost, nach der alles überdauernden Liebe führt durch die Partituren.
In der Fantasia Vox amoris schwebt die Geige, wunderschön und beseelt eingesetzt von der jungen deutschen Künstlerin Alina Pogostkina, über der Streicher-Landschaft, die Vasks als dämpfendes, nebliges, ruhiges Fundament behandelt. Das Solo kann sich über dieser orchestralen Basis frei und emotional entfalten. Pogostkina nimmt das eingangs zitierte „Singen“ auf: Das Instrument wird zur menschlichen Stimme, zur Seele, die sich leise, aber kontinuierlich öffnet. Man höre sich die Kadenzen an!
Das Hauptwerk dieser CD ist das Violinkonzert. „In dieser Komposition verbinden sich Freude und Trauer wie so oft in meiner Musik, aber zuletzt siegt die Hoffnung“, nennt Vasks die entscheidenden Parameter für dieses Opus, das man kaum als osteuropäische Avantgarde bezeichnen kann. Zu natürlich und unproblematisch, zu „naiv“ (?) und hellgesichtig, zu tonalitätsbezogen und expressiv ohne hintergründige Skepsis rollt das Geschehen als feinsinniger, geschliffener und eng verzahnter Dialog zwischen Violine und Streichern ab. Zwar färbt der Komponist die bildhaften Passagen in dem gut halbstündigen Konzert oft dunkel und verschattet ein – das aber seien Zugeständnisse an die Geschichte seines Volkes, an die politische Stagnation und die endliche Befreiung.
Dass er im Himmel göttliche Verbündete sieht und diese mit dankbarer Gläubigkeit feiert, hört man auch aus dem dritten Stück heraus: Die Meditation Vientulais engelis schwelgt erneut – ähnlich wie sein Kollege Arvo Pärt in seinen Tradition verarbeitenden Vokalkompositionen – in Sehnsuchtsakkorden und aleatorischer Entschiedenheit. In der Musik wird solch einer Position gern (und oft zu voreingenommen) der Begriff des „Bekenntnishaften“ vorgehalten.
Es ist eine angenehme Bereicherung, diese Belcanto-Hymnen auf den Saiten in sich aufzunehmen, zumal nicht nur Alina Pogostkina, sondern ebenso die Sinfonietta Riga unter der warmherzigen und animierenden Leitung von Juha Kangas den Nerv der Vasks-Musik treffen. Das Orchester zielt in den drei Interpretationen genau auf die Mitte von Festlichkeit und Trauer, Ästhetik und Sinnlichkeit, Feier und Trost, Empfindsamkeit und Offenheit – als tönend-nervige Klänge „nach dem Schmerz“.
Jörg Loskill