Wellesz, Egon
Vorfrühling/Leben, Traum und Tod/Lied der Welt/Sonette der Elizabeth Barrett Browning/Ode an die Musik/Vision/Symphonischer Epilog
Robert Laytons Artikel über Egon Wellesz in Groves Dictionary enthält zwei bemerkenswerte Äußerungen, die schlaglichtartig den Komponisten und Wissenschaftler Wellesz (1885-1974) charakterisieren und zugleich andeuten, weshalb sein uvre beinahe vergessen ist: Gemessen an der Strenge seines Wiener Erbes, so Layton, war Wellesz außergewöhnlich weitblickend. Und: Als Komponist war Wellesz nicht im Voraus berechenbar. In der Tat haben wir es mit einer Persönlichkeit zu tun, die sich jeder Schubladen-Einordnung entzieht: 19-jährig gehörte er gemeinsam mit Alban Berg und Anton Webern zur ersten Wiener Schülergeneration Arnold Schönbergs und studierte zugleich Musikwissenschaft bei Guido Adler.
Bald begann eine erfolgreiche Doppelkarriere: 1915 schloss er einen Komponistenvertrag mit der Universal Edition, das Wiener Konservatorium berief ihn als Lehrer und an der Universität erhielt er eine Professur. Vor 1933 zählte Wellesz zu den meistaufgeführten Komponisten im deutschsprachigen Raum, die gemeinsam mit Hugo von Hofmannsthal verfasste Oper Alkestis wurde sein größter Erfolg. Einen Namen machte er sich in dieser Zeit auch als Forscher, insbesondere auf den Spezialgebieten Geschichte der Wiener Oper und Byzantinische Musik: Ihm gelang erstmals die Entzifferung frühbyzantinischer Notation, sein diesem Thema gewidmetes Buch gilt noch heute als Standardwerk. Österreichs Anschluss im Jahr 1938 markiert einen Bruch im Leben von Egon Wellesz. Zwar konnte er aufgrund langjähriger Verbundenheit mit dem englischen Musikleben seit den 30er Jahren in Oxford seine Lehrtätigkeit nahtlos fortführen, der Komponist indes schwieg bis nach 1945. Mit seinen späten wiewohl zahlreichen Werken konnte Wellesz nicht mehr an die frühen Erfolge anknüpfen.
Von dieser reichen Vita und ihren Resultaten kündet die vorliegende Porträt-CD. Capriccio hat in Kooperation mit DeutschlandRadio Berlin eine echte Pioniertat vollbracht. Begleitet durch einen umfangreichen, kompetenten Booklet-Text lassen die eingespielten Werke aus einem Zeitraum von 57 Jahren das Bild eines Komponisten entstehen, dessen Sympathie für unterschiedliche Stile und Ausdrucksformen zu einem hohen Maß an Unabhängigkeit in der Erkundung der eigenen musikalischen Sprache führte. Atonale und zwölftönige Strukturen finden wie selbstverständlich ihren Platz in einer von der Idee des Zentraltons (nicht zu verwechseln mit traditioneller Harmonik) nie abweichenden Musik.
Regina Klepper, Sophie Koch, das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin und Dirigent Roger Epple viel gefragter GMD des Opernhauses Halle interpretieren die Werke kompetent und machen Appetit auf mehr: Wann hören wir in Neuaufnahmen Prosperos Beschwörungen, wann die Opern, Chorwerke, Sinfonien? Kleine Schwächen dieser Produktion ein leichtes Flackern dominiert den Klang der Sopranstimme, einige exponierte Töne in den schwierigen Geigenparts sind nicht makellos intoniert schmälern in keiner Weise Hörgenuss und Wissenszuwachs.
Gerhard Anders