Roth, Matthias

Von Minnesang bis Hip-Hop

1000 Jahre Musik in Heidelberg und der Kurzpfalz

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Palmyra, Heidelberg 2013
erschienen in: das Orchester 06/2014 , Seite 67

Ob Heidelberg eine „Musikstadt“ ist, darüber lässt sich trefflich streiten, je nachdem wie man den Begriff akzentuiert. Sicher: Viele namhafte Komponisten wurden vom Reiz des Ortes angelockt, sich für eine kleinere oder größere Weile privat oder zu öffentlichem Auftritt dort aufzuhalten: Mit Namen wie Mozart, Mendelssohn, Schumann, Chopin, Meyerbeer, Liszt, Brahms, Borodin und Rimsky-Korsakow ist die Liste noch lange nicht vollständig. Legt man aber die Betonung auf ein dauerhaft blühendes Musikleben, fällt die Antwort verhaltener und differenzierter aus. In seiner bis zur ersten Erwähnung der Ansiedlung im Jahr 1196 zurückreichenden Musikgeschichte der Stadt Heidelberg kann Autor Matthias Roth nicht umhin, von Perioden künstlerischer Dürre in der einstigen kurzpfälzischen Metropole zu berichten.
Nach einer Blütezeit im Bereich der Hofkapelle bis ins 16. Jahrhundert (wobei Persönlichkeiten wie Sebastian Virdung und Arnolt Schlick auf den Plan treten) sorgt die Hinwendung des kurpfälzischen Hofes zum Calvinismus für einen Niedergang im Bereich der Sakralmusik. Einen zweiten herben Einschnitt ins Heidelberger Kulturleben bedeutet, bald nachdem französische Truppen die Stadt verwüstet hatten, im Jahr 1720 die Verlegung der pfälzischen Residenz nach Mannheim. Hier, in der planmäßig
errichteten „Quadratestadt“ wird nun Musikgeschichte geschrieben: Keine „Heidelberger“, sondern eine „Mannheimer Schule“ gibt Impulse für die neuere Orchesterkultur und die Musiksprache der Wiener Klassik.
Sinnvollerweise weitet der Verfasser im Folgenden seine Monografie über die reine Lokalgeschichte zu einem Doppelporträt des Kulturlebens beider Städte, das zwischen Konkurrenz und Kooperation schwankt, und dehnt seine Musikgeschichtsschreibung auch nach Schwetzingen und in die übrige Kurpfalz aus, wobei gleichermaßen Personen wie Institutionen ins Auge gefasst werden. Denn selbst als Heidelberg im Zuge der romantischen Hinwendung zum Pittoresken wieder „boomt“, hinkt die Tonkunst hinterher. Ein bürgerliches Musikleben entsteht, von einem Aufschwung des Chorwesens und damit verbundenen Musikfesten abgesehenn erst sehr verspätet, wobei die entscheidenden Impulse von Philipp Wolfrum kommen, der ab 1884 zunächst als „Hilfslehrer“ ans Theologische Seminar zur Kirchenmusikerausbildung verpflichtet wird.
Ist Heidelberg seither zur „Musikstadt“ avanciert? Ein lebhaftes Plädoyer dafür führt Matthias Roth, wenn er mit einer Fülle, ja fast schon Überfülle an Details das örtliche Kulturleben nach den Restriktionen der NS-Ära und überstandenem Zweiten Weltkrieg beschreibt: angefangen vom Wirken Wolfgang Fortners als Lehrer und Organisator von „Musica viva“-Konzerten über die örtlichen Jazzclubs und „Experimentelle Intermezzi“ bis hin zum Konzert-, Theater- und Festivalbetrieb von heute.
Gerhard Dietel