Von der Fürstlichen Hofkapelle zur Anhaltischen Philharmonie
Klingende Dokumente aus 250 Jahren Orchestergeschichte
Die Arbeitssituation am Anhaltischen Theater Dessau ist derzeit nicht vergnügungssteuerpflichtig: Man bewältigt die Arbeit mit weit geringerer Lautstärke als etwa die Kollegen in Halle an der Saale und doch schon seit Jahren mit deutlich reduziertem Personal. Um alle vier Sparten halten zu können, haben die Mitarbeitenden nach herben Kürzungen durch das Land Sachsen-Anhalt auf einen Teil ihres Lohns verzichtet. Erkrankungen reißen tiefe Löcher in die dünne Personaldecke. Da ist es durchaus sinnvoll, sich und andere an die große Tradition des Hauses und seines Orchesters zu erinnern.
2016 feierte die Anhaltische Philharmonie ihr 250-jähriges Bestehen und ist damit dienstältestes Orchester im Musikland Sachsen-Anhalt. Auch wenn abgesehen von Kurt Weill, der Dessau früh verließ die ganz großen Namen in der Dessauer Musikgeschichte fehlen: Es gab hier bedeutende Dirigenten und Komponisten. Das war Grund genug, in der Jubiläumsspielzeit 2016/17 zu jedem Sinfoniekonzert eine Rarität aus dem eigenen Haus zu präsentieren. Die Konzerte wurden mitgeschnitten nun liegt zum erschwinglichen Preis von 8 Euro eine CD mit Werken anhaltischer Hofkapellmeister vor, die unter Leitung des jetzigen GMD Markus L. Frank, der Kapellmeisterin Elisa Gogou und des früheren GMD Antony Hermus zum Großteil erstmals aufgenommen wurden.
Eine echte Entdeckung auf dieser CD ist zum Beispiel das Klavierkonzert A-Dur (1905) von Franz Mikorey (1873-1947), der im zarten Alter von 29 Jahren ans Theater kam. Das Werk ist ein virtuoser Kracher, den Bernd Glemser vollgriffig und selbstbewusst präsentiert wunderbare Spätromantik mit Einflüssen von Liszt, Wagner und Richard Strauss und einem Hauptthema, das an Völker, hört die Signale erinnert. Noch stärker chromatisch aufgeladen ist das erste von drei groß besetzten Kammerstücken von Franz von Hoesslin (1920), der Reger-Schüler und Generalmusikdirektor in der schweren Zeit nach dem großen Dessauer Theaterbrand von 1922 war.
Von Heinz Röttger (1909-1977), dem genialen, eigenwilligen und auch gegenüber dem SED-Regime standhaften Dirigenten, ist eine pulsierende Humoreske für Orchester (1938) enthalten. Und von August Klughardt das herrliche Cellokonzert (1894) mit Wolfgang Emanuel Schmidt. Klughardt, ein großer Wagner-Verehrer, gehört zu den durchaus prominenten Dessauer Komponisten ebenso wie Friedrich Schneider, der auf dieser CD fehlt, weil die Philharmonie ihm eine eigene Produktion widmen will. So viel Geschichte war selten: Zu hören ist auch die Ouvertüre zur Oper Bathmendi des komponierenden Intendanten Karl August von Lichtenstein, uraufgeführt 1798 zur Eröffnung des Dessauer Theaters damals eines der größten und prächtigsten Europas. Und zu Beginn: die Sinfonia aus Friedrich Wilhelm Rusts Kantate zur Einweihung des Wörlitzer Schlosses (1773), das heute frisch renoviert glänzt und mitsamt dem Wörlitzer Gartenreich Weltkulturerbe ist. Fürst Franz, der Vater des Gartenreiches, und Baumeister Erdmannsdorff dürften zufrieden gewesen sein.
Johannes Killyen