Leo Blech

Von den Englein/Sommernacht

für vierstimmigen Frauenchor und Orchester/für gemischten Chor und Orchester, Klavierauszug

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Edition Ebenos
erschienen in: das Orchester 6/2022 , Seite 68

„Königlich Preußischer Generalmusikdirektor“ – dieser Titel hat Leo Blech womöglich das Leben gerettet. Denn bis 1937 wollte Hermann Göring als preußischer Ministerpräsident nicht auf die Dienste Blechs an der Berliner Staatsoper verzichten. Göring wusste, was er an dem herausragenden Orchesterleiter hatte, und so setzte er die internationale Reputation der Staatsoper nicht aufs Spiel. Überhaupt ist die Karriere des jüdischen Ausnahmedirigenten auch ein Beweis dafür, dass nationalsozialistische Kulturpolitik niemals von konsistenter und stringenter Handlungsabsicht erfüllt war. Vielmehr eröffnete sie ambitionierten Akteuren innerhalb des Parteiapparats immer wieder Möglichkeiten, Macht und Einfluss zu mehren und Rivalen in persönlichen Fehden zu bekämpfen.
Leo Blech verkörperte die musikalische Tradition Berlins wie kaum ein Zweiter und erschien Göring wohl als systemrelevant. Tatsächlich prägte Blech die Musikkultur Berlins – wo er als „Generalmusikdirektor“ Karriere machte – von 1906 bis 1937 entscheidend. Kaiser Wilhelm II. selbst hatte Leo Blech 1913 diesen Titel verliehen und Blech war sehr stolz darauf. Zu Recht! Denn so stand er in direkter Nachfolge von Spontini, Mendelssohn Bartholdy, Meyerbeer, Muck und Strauss.
Doch 1937 wurde Leo Blech dann schließlich doch „aus Altersgründen“ suspendiert. Persönliche Beziehungen halfen ihm, Deutschland zu verlassen. Blech arbeitete anschließend in Riga und Stockholm als Orchesterchef. Und auch dort mit großem Erfolg! In Riga unterrichtete er am Lettischen Konservatorium und prägte dort eine ganze Generation junger Dirigenten, darunter auch Arvid Jansons, der Vater von Mariss Jansons. Nach dem Krieg kehrte Blech dann nach seiner erzwungenen Emigration 1949 zurück nach Berlin und dirigierte dort bis 1953 an der Deutschen Oper.
Leo Blechs Biografie ist erschütternd und unglaublich faszinierend zugleich. So erlebte er in höchst einflussreicher Position mit dem Kaiserreich, der Weimarer Republik, dem „Dritten Reich“ und der frühen Bundesrepublik vier politische Systeme, die Deutschland durch lichte Höhen und unfassbare Tiefen führten. Heutzutage ist es um Leo Blech still geworden. Doch wie kann man das Andenken an einen großen Musiker besser und nachhaltiger bewahren als durch die Musik selbst!
Zum 150. Geburtstag des in Aachen geborenen Dirigenten und Komponisten Leo Blech (1871-1958) legt nun der Aachener Verlag Edition Ebenos mit der Neuausgabe von zwei Liedern für Chor und Orchester den Grundstein für eine Rückkehr großartiger Vokalmusik auf die Konzertpodien. Mit Von den Englein für vierstimmigen Frauenchor und Orchester und der Sommernacht für gemischten Chor und Orchester erweist sich Leo Blech als Meisterschüler Engelbert Humperdincks, der den Chorsatz sowohl vertikal als auch horizontal exzellent zu inszenieren weiß. Komplexe spätromantische Vokalkunst!
Martin Hoffmann